Nürnberg. Es liegt an der robusten Konjunktur: In Deutschland gab es im Zeitraum April bis Juni 985.000 offene Stellen, 10 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Erfasst sind auch freie Arbeitsplätze, die Betriebe und Behörden der Arbeitsagentur nicht gemeldet haben.
Was folgt daraus? Müssen wir jetzt alle noch mehr reinklotzen? Und warum gibt es noch immer so viele Arbeitslose, die die Jobs doch locker machen könnten?
Die Fakten: Im Juli waren bundesweit 2,66 Millionen Menschen arbeitslos. Problem: Häufig passen Anforderungsprofil und Qualifikation der Bewerber nicht zusammen.
Fast jeder zweite Erwerbslose hat keine Ausbildung. Laut IAB entfallen auf einen freien Helfer-Job statistisch gesehen 6,4 Arbeitslose, bei Facharbeiter-Jobs sind es nur 1,7. Hinzu kommt: Was nutzt ein Elektroniker in Brandenburg, wenn ein Chemiker in Bayern gebraucht wird? Die Stellenbesetzung ist also auch eine Frage des Berufs und der Mobilität.
Allein 58 Prozent der offenen Stellen entfallen laut IAB auf Dienstleistungen – je zur Hälfte auf unternehmensnahe und solche für Privatleute. Im gesamten verarbeitenden Gewerbe sind es 10 Prozent, exakt 99.700. So verzeichnen etwa die Betriebe der Metallerzeugung, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik sowie die Kfz-Industrie 61.000 freie Stellen.
Die Betriebe müssen deshalb Aufträge ablehnen, verschieben – oder die Mitarbeiter machen Überstunden. Und tatsächlich: Insgesamt leisteten die Beschäftigten im letzten Jahr gut 1,8 Milliarden Überstunden, 1 Prozent mehr als 2014. Was auf Kritik stößt. So spricht etwa Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, von einer „Arbeitsverdichtung und zunehmendem Stress“.
Wer aber die Entwicklung pro Kopf betrachtet, kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. „Es ist nicht zu sehen, dass die Überstunden zunehmen“, sagt dazu Professor Enzo Weber, der beim IAB den Forschungsbereich Prognosen und Strukturanalysen leitet. Die Mehrarbeit pro Kopf war letztes Jahr praktisch konstant; im ersten Vierteljahr 2016 ist sie sogar leicht geschrumpft.
Im Langfristvergleich zeigt sich sogar ein deutlicher Rückgang. Knapp 21 bezahlte Überstunden im Jahr macht der durchschnittliche Arbeitnehmer – 1995 waren es mehr als doppelt so viele. Und auch bei den unbezahlten Überstunden ermittelte das IAB für die letzten Jahre einen Rückgang – wobei Forscher Weber anmerkt: Dahinter steckt in aller Regel Mehrarbeit von Führungskräften mit außertariflicher Bezahlung.
Fazit: Es gab zuletzt zwar einen geringen Anstieg der Überstunden – aber einen noch größeren Anstieg der Beschäftigten. So verzeichnet die IAB-Erhebung für das erste Vierteljahr 2016 mehr als 38,7 Millionen Arbeitnehmer (davon 24 Millionen in Vollzeit). Das waren insgesamt fast 600.000 mehr als ein Jahr zuvor und sogar 2,2 Millionen mehr als 2010.
Dies zeige, so Weber, „dass die Unternehmen seit Jahren Stellen schaffen“. Und nicht etwa die Belegschaften noch mehr Stunden schieben lassen.