Göttingen. Was bedeutet Industrie 4.0 für die Mitarbeiter? Wie sicher bleiben ihre Jobs? Fragen an den Industrie-Soziologen Knut Tullius von der Universität Göttingen.
Werden massenweise Stellen verschwinden?
Sicher nicht. 12 bis 15 Prozent aller gegenwärtigen Tätigkeiten könnten bis 2030 wegfallen. Unterm Strich aber gehen Experten nur von einem Verlust von 60.000 Stellen in der Industrie aus. Grund: Wie bei allen technischen Neuerungen wird es auch diesmal entgegengesetzte Trends geben.
Was heißt das konkret?
Es entstehen neue Berufe und Jobs, die den Abbau zumindest teilweise kompensieren werden. Vorausgesetzt, die neuen Technologien bringen tatsächlich Wachstum. Technikschübe haben bisher immer mehr Beschäftigung gebracht. In den 1980er-Jahren, als der Computer Einzug hielt, gab es die Angst, dass er uns ersetzen wird. Trotzdem arbeiten wir noch.
Welche Jobs sind gefährdet oder verändern sich?
Vor allem – und das ist in Deutschland nicht ohne Brisanz – fertigungstechnische Berufe. Auch im mittleren Qualifikationssegment. Also Facharbeiter, nicht nur Ungelernte, das ist das Paradoxe. Betroffen sind Tätigkeiten, bei denen der Computer das Denken zumindest zum Teil ersetzen kann. Allerdings fällt nicht unbedingt der ganze Arbeitsplatz weg, aber er verändert sich doch stark.
Dies bedeutet, dass Weiterbildung und Flexibilität noch wichtiger werden?
Ja. Die verbleibenden Tätigkeiten erfahren eine Aufwertung. Kommunizieren, Probleme lösen, flexibel auf Veränderungen reagieren, Erfahrungswissen einbringen: Das kann im Moment noch am besten der Mensch. Und je komplexer die Systeme sind, desto mehr Probleme gibt es zu lösen.
Könnte die Industrie 4.0 die Produktion aus Billiglohnländern zurückholen?
Möglich ist es. Ob es zur Rückverlagerung im großen Umfang kommt, muss man abwarten. Es kann auch sein, dass sich neue Formen der Zusammenarbeit über Grenzen und Distanzen ergeben, weil Betriebe Daten fast in Echtzeit austauschen können.