Ideal positioniert zwischen Bergen und Meer liegt die Stadt Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina. „Wir sind in rund zwei Stunden an der Ostküste oder in die andere Richtung in den Blue Ridge Mountains. Das ist ein schönes Wandergebiet“, erzählt Ferdinand Traub. Im April kam der 27-Jährige mit seiner Frau aus Abtsgmünd dort an. Allerdings nicht zum Wandern, sondern für seinen Arbeitgeber Kessler & Co. Seine Mission: die Reparaturwerkstatt für Achsen und Getriebe am nordamerikanischen Vertriebsstandort wieder in Gang zu bringen. Die lag nämlich jahrelang brach. „Unsere Produkte sind sehr speziell“, erklärt Traub im Video-Gespräch mit aktiv. „Deshalb hat man lange niemanden für die Reparaturen gefunden.“
Er selbst hatte davon gehört und klopfte bei der Firma an. Der gelernte Industriemechaniker berichtet: „Damals war ich in einer Vollzeit-Fortbildung zum Techniker und wollte danach, als Bachelor of Engineering, nicht einfach nur in den gleichen Job zurück.“ Eine neue Herausforderung mit mehr Verantwortung, das schwebte ihm vor. Kessler & Co empfing ihn mit offenen Armen, zumal er den Betrieb gut kannte: Schon als Schülerpraktikant hatte er mal reingeschnuppert, später dort die Ausbildung gemacht und dann bis zur Fortbildung im Getriebebau gearbeitet.
Er ist auch viel in den USA unterwegs
Für den Job in Charlotte musste er sich zuerst mit den Achsen vertraut machen – das meistverkaufte Produkt. Ein halbes Jahr lang baute er in Abtsgmünd jedes Achsenmodell mindestens einmal komplett zusammen und arbeitete in der Servicewerkstatt. Dort hatte er auch mit internationalen Kunden zu tun, auf Englisch. Das klappte gut, denn, so Traub: „Während meiner Ausbildung war ich einen Monat bei einer anderen Firma in England. Und in der Fortbildung habe ich mein Englisch aufgefrischt.“ Somit war er fit für Übersee – wo die leer stehende Werkstatt auf ihn wartete. Nachdem er die wieder aufgebaut hatte, konnte er auch das Reparaturgeschäft neu ankurbeln. Das war bisher an zertifizierte externe Werkstätten in den USA gegangen – oder auch mal zu Kessler & Co nach Deutschland. Bei Achsen, die bis zu 200 Tonnen tragen müssen, sehr zeitraubend und teuer!
Inzwischen hat Traub einen Helfer, mit dem er jeden Morgen zuerst die anstehenden Aufgaben bespricht. Neben der Werkstatt betreut er vom Büro aus Kunden, macht Angebote, schreibt Rechnungen oder erstellt detaillierte Reparaturberichte mit Fotos – eine amerikanische Besonderheit. Oder er ist unterwegs, zu Reparaturaufträgen bei Kunden oder um externe Servicetechniker zu schulen und zu zertifizieren. Außeneinsätze in den USA haben freilich eine ganz andere Dimension als bei uns: Ein Flug nach Kalifornien beispielsweise dauert fünf Stunden und durchquert drei Zeitzonen, ist also ganz schön anstrengend.
Inzwischen spricht er fließend Englisch
Dafür sind die Leute sehr freundlich, und man kommt leicht mit ihnen ins Gespräch, selbst mit Wildfremden. Zwar bleibt das oft beim Oberflächlichen, aber inzwischen hat sich das junge Ehepaar mit zwei anderen Pärchen angefreundet, mit denen sie regelmäßig etwas unternehmen. Auch mit den Kollegen – insgesamt sind es nur sechs – kam er von Anfang an wunderbar aus. Manchmal fragt ihn sein Chef sogar um Rat. Englisch spricht er inzwischen fließend. „Das ging am Anfang etwas holprig“, gibt er zu. „Es macht eben einen Unterschied, ob man im Ausland Urlaub macht oder tatsächlich dort lebt und arbeitet.“
Diese Erfahrung kann er übrigens jedem empfehlen: „Natürlich ist nirgendwo alles perfekt. Aber man wächst dadurch als Person. Und man kann immer voneinander lernen.“ So täte etwa uns Deutschen etwas mehr amerikanische Offenheit gut oder auch etwas mehr Pragmatismus beim Klimaschutz. Dafür sind wir immer noch top in puncto Gründlichkeit.
Seinen zunächst befristeten Vertrag wird er Ende des Jahres auf jeden Fall verlängern. Inzwischen hat auch seine Frau, gelernte Chemikerin, eine gute Stelle als Qualitätstechnikerin gefunden. Drei Jahre USA planen die beiden insgesamt. Die Weihnachtsferien wollen sie auch dort verbringen. Traub sagt: „Wir bekommen Besuch von Freunden aus Deutschland und Silvester werden wir in Florida feiern.“
Das Unternehmen
Kessler & Co ist Weltmarktführer für schwere Planetenachsen, Getriebe, Radantriebe und elektrische Antriebssysteme. Diese werden unter anderem in Bussen, schweren Lkws, Baumaschinen, Schwerlaststaplern für Häfen, Flughafenschleppern oder Landmaschinen verbaut. Aktuell beschäftigt der Mittelständler rund 1.200 Mitarbeiter. Produziert wird nur am Stammsitz in Abtsgmünd, darüber hinaus gibt es Vertriebsstandorte in den USA, Indien und China.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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