Bochum. Mechanische Gelenke knarzen, Elektromotoren surren. Paul Hannes stapft übers Laufband. Der 1,80-Meter-Mann, ehemaliger Polizist, trägt einen Roboter-Anzug. Noch sieht das etwas ungelenk aus. Aber Hannes ist zufrieden beim Blick auf das Geräte-Display. „Ich habe die ersten 100 Meter in vier Minuten geschafft, ich bin besser als beim letzten Mal.“
Hannes ist seit zwei Jahren querschnittgelähmt. Nach einer Operation klemmte eine Schwellung die Nerven im Rückenmark ein, alles unterhalb der Brust war unbeweglich und ohne Gefühl. Doch seit einigen Monaten trainiert er mit dem Roboter-Anzug laufen. Und er macht im Therapiezentrum bei der Universitätsklinik Bergmannsheil in Bochum Fortschritte.
Gelähmte gehen wieder. Hightech erfüllt die biblische Prophezeiung, zumindest teilweise. Zu viel Hoffnung will Mediziner Dennis Grasmücke von der Uni-Klinik nicht machen. „Der Roboter-Anzug ist ein großer Fortschritt für die Rehabilitation von Querschnittgelähmten. Doch wir bewirken keine Wunder.“ Immerhin: Ein Viertel der Patienten könne davon profitieren.
90 Patienten wurden bereits mit der neuen Technik therapiert
Während Roboter-Anzüge Beschäftigten in Fabriken das Heben schwerer Lasten oder das Arbeiten in unbequemer Haltung erleichtern, bringen sie in der Reha Patienten zurück auf die Beine. Voraussetzung freilich ist, dass in den gelähmten Partien des Körpers noch gesunde Muskeln und Nerven vorhanden sind. Dann können viele Kranke wieder einigermaßen normal laufen lernen.
Exoskelett-Video
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Die Mediziner in Bochum haben in ihrem Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining mittlerweile 90 Patienten therapiert, mit den Exoskeletten des japanischen Herstellers Cyberdyne. Noch funktionstüchtige Muskeln werden kräftiger, und die Mobilität steigt.
Ein querschnittgelähmter Architekt arbeitet wieder, eine verunglückte Sportreiterin sitzt erneut im Sattel und will nun studieren. Und Rentner Paul Hannes bewältigt kurze Wege mittlerweile auch mit dem Rollator. Die Zehn-Meter-Strecke, mit der die Ärzte die Therapiefortschritte ihrer Patienten vergleichbar machen, schafft er in 20 Sekunden.
Entwickelt hat den Roboter-Anzug mit der Kurzbezeichnung HAL Professor Yoshiyuki Sankai von der Universität im japanischen Tsukuba. Die von ihm gegründete Firma Cyberdyne vertreibt die Geräte weltweit. „Das Besondere an diesem Exoskelett ist, dass es durch Nervenimpulse des Patienten gesteuert wird“, erklärt der Bochumer Mediziner Grasmücke.
Vor dem Training bekommt der Kranke je neun Elektroden auf die Beine geklebt. Auch Hannes muss die Prozedur über sich ergehen lassen. Die Elektroden erfassen die Impulse von funktionierenden Nerven, die zu nicht gelähmten Muskeln führen. Der Rechner im Anzug wandelt diese Signale in Steuerbefehle für die Motoren um, die wiederum die Muskeln unterstützen. So wird ein körpereigener Lernprozess in Gang gesetzt.
Etwa 60 Exoskelette von Cyberdyne sind bundesweit im Einsatz, neben Bochum in zwei Kliniken in Berlin sowie in Halle, Frankfurt und Adorf (Sachsen). Acht Krankenhäuser hierzulande nutzen Anzüge des kalifornischen Herstellers Ekso Bionics für ein Reha-Training.
Einem ganz anderen Zweck dienen die Roboter-Anzüge der israelischen Argo-Medical Technologies, der neuseeländischen Rex Bionics sowie der amerikanischen Firma Parker: Sie sollen Rollstuhlfahrern zusätzliche Mobilität verleihen, fürs Gehen, Stehen und Treppensteigen. Dazu aber müssen die Kranken genug Kraft in den Armen haben.
Welche Chancen in dieser Technik stecken, macht ein führender Experte für Biomechatronik an einem Vergleich deutlich: „Im Grunde sind die heutigen Roboter-Anzüge an einem Punkt wie die Computer in den 80er-Jahren. Da gibt es noch enormes Potenzial“, sagt Professor Robert Riener von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. „Vollständig ersetzen können sie den Rollstuhl auf absehbare Zeit aber nicht.“
Dennoch: Bundesweit haben Krankenkassen bereits fünf Patienten so ein motorisiertes Exoskelett bezahlt – versuchsweise. Noch sind die Hightech-Geräte mit Preisen von 50.000 bis 100.000 Euro sehr teuer.
Auch die Reha mit dem Roboter-Anzug kostet einiges. So berechnet das Bochumer Therapiezentrum für drei Monate Intensiv-Behandlung mit fünfmal wöchentlich zwei Stunden Training 25.000 Euro. Das tragen bisher nur Berufsgenossenschaften und private, aber nur vereinzelt gesetzliche Krankenkassen. Damit diese die Behandlung allgemein anerkennen, arbeiten die Mediziner der Bochumer Universitätsklinik an umfangreichen Studien. Sie sollen den Nutzen der Therapie zweifelsfrei belegen.
Für Rentner Paul Hannes steht der längst fest. „Heute mache ich zu Hause alles mit dem Rollator, mithilfe eines zweiten Handlaufs steige ich wieder die Treppe hoch und beim Händewaschen kann ich stehen.“ Sein Ziel jetzt: „Ich möchte wieder Auto fahren können.“
Jedes Jahr 2.000 Neuerkrankte
- In Deutschland gibt es ungefähr 130.000 querschnittgelähmte Patienten. Jährlich kommen rund 2.000 Fälle hinzu. Häufigste Ursache sind Unfälle mit einem Bruch der Wirbelsäule, wobei das Rückenmark geschädigt wird.
- Bei etwa 40 Prozent der Patienten sind die Beine gelähmt, bei den anderen sind es Beine und Arme. Sieben von zehn Querschnittgelähmten sind Männer.
- Lauftraining mit einem Roboter-Anzug ist bei einer inkompletten Lähmung möglich. Das heißt, wenn noch einzelne Nerven und Muskeln arbeitsfähig sind.