Diese beiden haben völlig unterschiedliche Jobs. Und unter normalen Umständen hätten sie sich wohl gar nicht näher kennengelernt: Daniel Hätty (27) kümmert sich bei Evonik in Rheinfelden als Bauhandwerker um Grünpflege und Reparaturen. Alexander Köpfer (38) macht etwas ganz anderes, er leitet einen Betrieb in der Silane-Produktion. Jetzt aber packen die beiden gemeinsam ihre Notenblätter aus, als würden sie sich schon ewig kennen. „Musik zu machen, das verbindet einfach“, sagt Hätty.
Hierarchien spielen im Orchester keine Rolle
Dass Kollegen sich verbunden fühlen, untereinander und mit dem Unternehmen, das wollen viele Betriebe fördern. Es zahlt sich ja auch aus, wenn jeder Einzelne im Job motivierter ist. Ein besonderes Beispiel dafür hat aktiv sich im badischen Rheinfelden angeschaut, nahe der Schweizer Grenze: Hier hat der Chemiekonzern Evonik rund 1.200 Mitarbeiter – und ein eigenes Orchester, das es schon seit 91 Jahren gibt!
Gerade beginnt eine Probe: Im Saal der Werkfeuerwehr haben sich Beschäftigte und Ruheständler versammelt, halten Piccolo-Flöte oder Paukenschläger parat, legen sich ihre Noten zurecht. Ob man jung oder alt ist, Chef oder Praktikant, das spielt keine Rolle, wenn die rund 30 Musiker und Musikerinnen zusammenkommen. Geprobt wird zum Beispiel der „Libertango“, ein Klassiker. Es klingt kraftvoll und dramatisch, bringt Gänsehaut-Atmosphäre in den Saal.
Proben zählen sogar als Arbeitszeit
In den Anfängen der „Werkmusik“, anno 1934, gehörte der Standort noch zu Degussa. Und alle, die ein Instrument beherrschten, mussten teilnehmen: Dienstanweisung! Man spielte bei Anlässen wie Sportfesten oder der Beerdigung von Werkangehörigen.
Heutzutage sind die Musiker natürlich freiwillig dabei. Wobei die Proben übrigens nach wie vor als Arbeitszeit zählen. Das Orchester spielt bei den verschiedensten Events. Sogar in der Dortmunder Fankurve eines BVB-Fußballspiels gegen den SC Freiburg sind die Evonik-Leute mal aufgetreten. Und bei einem Besuch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die Werkmusik ist ein Aushängeschild, auf das auch die Belegschaft stolz ist.
Alexander Köpfer erzählt schmunzelnd, wie er da mal eben angeheuert wurde: „Bei einer Weihnachtsfeier haben mich Kollegen angesprochen. Jemand hatte mitbekommen, dass ich Trompete spiele.“ Angefangen hat er damit schon als Kind: „In meinem Heimatdorf Bernau spielt Musik eine große Rolle, da gibt’s zwei Musikvereine.“ Später schaffte er sich auch noch ein Flügelhorn an.
Das Orchster sorgt für mehr Kontakt zwischen Kollegen
Beruflich hat der promovierte Chemiker bei Evonik als Laborleiter in der Entwicklung angefangen, heute leitet er einen Betrieb in der Silane-Produktion. Als Silane bezeichnet man eine Stoffgruppe chemischer Verbindungen, die ein Silizium-Atom enthalten. Dafür gibt’s viele Anwendungen, zum Beispiel an Gebäuden: Silane können Oberflächen etwa vor Feuchtigkeit oder Graffitis abschirmen. „Ein Produkt von uns schützt den Louvre in Paris und die Oper in Sydney“, erzählt Köpfer.
An seiner Arbeit liebt er vor allem den Kontakt mit Kollegen. Und genau das mag er auch am Orchester. „Denn nur wenn das Zusammenspiel funktioniert, wird es ein schönes Werk“, beschreibt er.
Auch sein Kollege Daniel Hätty ist sehr zufrieden mit dem Job bei Evonik: „Man ist als Bauhandwerker viel an der Luft und hat oft Kontakt mit Kollegen.“ Hätty hat eine Ausbildung zum Straßenwärter gemacht und sorgt nun für Ordnung auf dem Werkgelände.
Es geht darum, Kollegen zusammenzuführen
Organisatorische Leiterin des Orchesters ist die Betriebsratsvorsitzende Martina Reisch. Es geht um viel mehr, als nur Musik zu machen, betont sie: „Auch um das Zusammenführen aller Berufsschichten und von Jung und Alt.“ Der Dirigent ist übrigens von Evonik angestellt: Eckhart Hanser, im Hauptberuf Informatik-Professor. Bei der Probe schaut an diesem Tag auch der neue Standortleiter vorbei, Jörg Falkenberg. Er hat schon an sieben anderen Standorten gearbeitet, zum Beispiel in China. In Rheinfelden fasziniert ihn, wie eng Evonik mit der Kleinstadt vernetzt ist. Und natürlich auch, wie viele motivierte Musiker es am Standort gibt.
Falkenberg ist überzeugt, dass man im Orchester auch etwas für den Job lernen kann. Und gibt den Musikern seine Devise mit: „Wenn mal was auf Anhieb nicht so gut klappt, steckt man am besten nicht den Kopf in den Sand. Denn am Ende wird alles gut!“
Neugierig geworden? Für Mittwoch, 9. April 2025, lädt die Werkmusik ein zu ihrem Jahreskonzert im Betriebsrestaurant Culinaria, das ist in der Friedrichstraße 36 in Rheinfelden. Einlass ist ab 18.30 Uhr. Alle Interessierten sind herzlich willkommen!
Lange Tradition
Unter den 160 Evonik-Standorten hat nur Rheinfelden eine eigene „Werkmusik“. Es gibt sie schon seit 91 Jahren. Die Musiker spielen alles – von klassischer Musik über Märsche und Polkas bis zu beliebten Pop-Hits.

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Baden-Württemberg vor allem über die Chemieindustrie. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.
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