Nürnberg. Ob Haushaltsgeräte, Möbel, Fassaden, Dächer, Fußböden, Industrieanlagen oder Containerschiffe: Überall im Alltag begegnen uns lackierte Gegenstände und farbige Anstriche. Raffinierte Beschichtungen schützen etwa vor Rost – bundesweit bewahren sie etwa 120.000 Brücken vor dem Verfall und verhindern Schäden an rund 60 Millionen Auto-Karosserien.
Dass die Materialien noch viel mehr können, zeigen die Lieferanten und Partner der internationalen Lack- und Farbenindustrie jetzt auf der „European Coatings Show“ in Nürnberg (4. bis 6. April). Mehr als 1.100 Aussteller aus rund 40 Ländern präsentieren ihre Neuheiten rund um die Herstellung von Lacken und Beschichtungen. Mit dabei: Chemie-Unternehmen wie die BASF aus Ludwigshafen, Wacker Chemie aus München, Byk-Chemie aus Wesel, Clariant aus Sulzbach und Evonik aus Essen.
Kratzfest, Schmutz abweisend, witterungsbeständig: „Farben und Lacke sollen immer mehr Funktionen übernehmen“, sagt Michael Hilt, Leiter der Forschungsgesellschaft für Pigmente und Lacke in Stuttgart. Möglich machen das unter anderem die Zusatzstoffe (Additive) der Chemie-Industrie. Sie sind das Salz in der Suppe und bestimmen die für den Laien „unsichtbaren“ Eigenschaften der Formulierungen.
Erneuerbare Rohstoffe stehen im Fokus
So halten beispielsweise Anstriche mit antimikrobieller Wirkung Wände und Decken in Krankenhäusern frei von Keimen. Wie das geht? Integrierte Silber-Ionen töten Bakterien ab, ohne sich dabei zu verbrauchen. Dank Metalloxid-Pigmenten wiederum besitzen Fassadenfarben die Fähigkeit, Licht zu reflektieren und so im Sommer den Energieverbrauch durch Klimaanlagen zu reduzieren.
Andere Lösungen sind noch in der Mache: Forscher tüfteln beispielsweise an Rezepturen, die die Eisbildung an Windkraftanlagen und auf Flugzeugoberflächen verhindern könnten. Schmutz abweisende Antifingerprint-Lacke wiederum sollen eines Tages den Touchscreen vom Smartphone sauber halten.
Auch in puncto Optik entwickelt sich die Branche weiter. Neue Pigmente lassen Lacke kräftig schillern oder in wechselnden Farben erscheinen. „Der Verbraucher legt großen Wert auf Individualität“, erläutert Hilt. „Neue Farbabstufungen und -effekte machen Konsumgüter attraktiver.“
Stark im Fokus der Leistungsschau steht zudem das Thema Umweltschutz. Neue Labor- und Produktionstechnologien sollen Energie und Ressourcen und somit Kosten einsparen. Immer mehr Lackhersteller setzen zudem auf erneuerbare und biobasierte Rohstoffe. „Wir beobachten auch, dass immer mehr Produkte wasserbasiert, also praktisch lösemittelfrei sind“, ergänzt Hilt.
In Deutschland beschäftigt die Branche übrigens laut dem Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie (VdL) in Frankfurt rund 25.000 Mitarbeiter, die 2016 knapp über 8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten. 2,6 Millionen Tonnen Lacke, Farben und Druckfarben wurden produziert, davon rund 1,8 Millionen Tonnen hierzulande weiterverarbeitet.
„2016 war für die Branche eher ein durchschnittliches Jahr“, resümiert VdL-Hauptgeschäftsführer Martin Engelmann. Einzelne Marktsegmente entwickelten sich sehr unterschiedlich: Während die Umsätze mit Baufarben und Industrielacken jeweils um mehr als 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr wuchsen, sank der Umsatz der Druckfarben um 3 Prozent.
Immerhin: Für 2017 zeigen sich die Hersteller leicht optimistisch. Einen Dämpfer gibt es dennoch: Seit Jahresbeginn ziehen die Rohstoffpreise stark an. Der Preis etwa für Bindemittel lag im Februar gut 6 Prozent höher als im Sommer 2016. Schwierig für die Branche: „Der Rohstoffeinkauf macht in der Herstellung im Schnitt 52 Prozent der Gesamtkosten aus“, erläutert VdL-Chef Engelmann.
Neue Rottöne
Pigmente bringen Farbe in den Lack. Die über Eisenoxide verfügbare Farbpalette umfasst viele warme Töne von Gelb über Ocker und Rot bis hin zu Braun und Schwarz. Das Spektrum der Rottöne hat der Kölner Spezialchemie-Konzern Lanxess nun erweitert: Im Vergleich zu allen derzeit auf dem Weltmarkt verfügbaren Eisenoxiden ermöglicht ein innovativer, besonders nachhaltiger Produktionsprozess, die hellsten und gelbstichigsten Rotpigmente herzustellen.
Selbstheilender
Lack Mikrokratzer im Autolack sind harmlos, aber sehr lästig. An der Universität des Saarlandes forschen Wissenschaftler deshalb unter Hochdruck an einer neuen Beschichtung, die sich „selbst heilen“ kann: Der Lack ist aus Maisstärke gefertigt. Die Vernetzung über ringförmige Moleküle macht das Material beweglich, sodass es Kratzer auffüllt und diese tatsächlich verschwinden. Jetzt wird der umweltfreundliche Lack für die industrielle Anwendung untersucht.
Fließende Masse
Selbstverlaufende, sich perfekt ausgleichende Estriche und Bodenspachtelmassen sparen auf der Baustelle Zeit und Geld. Der Chemie- Konzern BASF hat dafür neue spezielle Fließmittel und Stabilisierer entwickelt. Die Zusatzstoffe sorgen dafür, dass die mineralischen Partikel in den Mörteln ideal verteilt sind. Ein unerwünschtes Absetzen der Bestandteile bleibt aus – das verbessert die Bodenkonstruktion und vermeidet Reklamationen.
Bio-Lack für Züge
Leichtbaukonzepte helfen der Transportindustrie, die Umwelt zu schonen. Auch die Lackierung kann viel dazu beitragen. Erstmals im Test: Bio-Klarlack für Loks. Der Kohlenstoffgehalt des Lackhärters basiert zu 70 Prozent auf nachwachsender Biomasse. Der Lack zeigte sich in Simulationen mindestens genauso abriebfest und glanzbeständig wie ein Standardlack auf petrochemischer Basis. Mitentwickelt wurde er übrigens vom Leverkusener Konzern Covestro.
Glaskugeln für Innenputz
Das Multitechnologie- Unternehmen 3M aus Neuss präsentiert den Werkstoff „Glass Bubbles“. Das sind absolut gleichförmige Mikrohohlkugeln aus chemischem Borsilikat-Glas. Der Clou: Ihr Einsatz verringert die Dichte in Farben und Lacken und senkt deren Wärmeleitfähigkeit. Ein Anwendungsbeispiel ist Innenputz in Häusern. Mithilfe der winzigen Kugeln kann das Raumklima verbessert und Schimmel vorgebeugt werden.