Bis zum 23. Juni wird nun gezittert: In Großbritannien, dem nach Wirtschaftskraft zweitgrößten Land Europas, läuft der Wahlkampf für die Volksabstimmung zum EU-Austritt. Schwarzseher haben Konjunktur. Schließlich bescheren Wachstumsschwäche, Schuldenkrise und Flüchtlingswelle nicht nur auf der Insel den Europa-Gegnern Auftrieb.
Nur noch relativ verzagt wird die positive Sichtweise geäußert: dass die EU bislang aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen ist. Über „Eurosklerose“ wurde erstmals vor drei Jahrzehnten diskutiert – als es noch keinen gemeinsamen Binnenmarkt gab, keine offenen Grenzen, keinen Euro und statt heute 28 nur 10 Mitgliedsstaaten.
Die Wirtschafts- und Währungsunion „scheiterte“ 1992 am Veto durch ein Referendum in Dänemark; 2005 brachten die Bürger Frankreichs und der Niederlande die ebenfalls bahnbrechende EU-Verfassungsreform „zu Fall“. Gekommen ist beides trotzdem. Es wurde eben nachverhandelt. Das geeinte Europa hat Erfahrung damit, Scherbenhaufen zu erstaunlich robusten Gefäßen zu kitten.
Dass dies weiter gelingt – dafür gibt es ein starkes Argument: Die globale Unruhe verleiht der EU eine zusätzliche „Story“. Anfangs war es die Perspektive von Frieden in Europa; später kam die Aussicht auf eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik hinzu, die die nationalen Parlamente allein nicht hinkriegen. In letzter Zeit wird eine dritte Story deutlich: dass sich unser Kontinent nur gemeinsam in der Welt behaupten kann.
1980 verkörperte das heutige EU-Gebiet 34 Prozent der Weltwirtschaft, 2020 sind es 21 Prozent. Und es gewinnen Länder an Gewicht, die Europas Werte nicht teilen.