München. Vier Tarifabschlüsse in Folge haben jeweils einen Reallohn-Anstieg gebracht – und das wird wohl auch 2018 so sein. Bereits in der zweiten Runde der Tarifverhandlungen für Bayerns Metall- und Elektroindustrie (M+E), noch vor Auslaufen des aktuellen Tarifvertrags, haben die Arbeitgeber angeboten: 2,0 Prozent Tabellenerhöhung ab April 2018, außerdem 200 Euro Einmalzahlung für den Zeitraum Januar bis März.
Tarifparteien liegen noch weit auseinander
Angelique Renkhoff-Mücke, Verhandlungsführerin des Arbeitgeberverbands vbm, betonte: „Bei diesem Angebot gehen wir davon aus, dass der Tarifabschluss die Möglichkeit für eine bedarfsorientierte und bezahlte Ausweitung des Arbeitszeitvolumens beinhaltet.“
Viele Mitarbeiter möchten gerne mehr arbeiten, der Tarifvertrag schränkt das stark ein. Aus Sicht des vbm sollte man deshalb jetzt die Grenze aufheben, die den Anteil jener Beschäftigten limitiert, die einzelvertraglich bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Renkhoff-Mücke: „Bei betrieblichem Bedarf sowie der Bereitschaft des Arbeitnehmers würde dann das tarifliche Monatsentgelt um über 14 Prozent steigen.“
Die IG Metall beharrt auf ihrer Forderung: 6 Prozent mehr Lohn sowie individuelle Arbeitszeitverkürzungen mit Teillohnausgleich. Letzteres wäre „ungerecht und rechtswidrig“, so die vbm-Verhandlungsführerin: Es brächte „unterschiedliche Stundenentgelte für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten“.
Die Verhandlungen sind auf den 15. Januar vertagt. In dieser schwierigen Lage gibt AKTIV einen Überblick: Was ist das richtige Maß? Wann geraten Produktion und Beschäftigung in Gefahr?
Drei wichtige Zahlen sind da schnell benannt: in vier Tarifrunden 19,5 Prozent mehr Entgelt, bei nur 7,1 Prozent Teuerung – und nur insgesamt 2 Prozent mehr Output je Arbeitsstunde. Die Produktivität wächst nicht wie früher, das schränkt die Möglichkeiten ein. Zumal eine alte Wahrheit derzeit besonders aktuell ist: Zukunft kostet Geld.
Denn die Digitalisierung, die unseren Alltag so verändert, bedeutet auch für die Betriebe einen Wandel. Mit enormen Chancen – wenn man jetzt das dafür nötiges Geld in die Hand nehmen kann.
Es geht um „Industrie 4.0“, die intelligente Fabrik, in der die Maschinen und sogar Bauteile digital vernetzt sind. Wer das schafft, kann Ressourcen besser einsetzen, Kunden besser bedienen. Experten sind sich einig: Das ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze am Standort.
Herausforderung Hochlohnstandort
Wie teuer das wird, hat kürzlich das Beratungsunternehmen IW Consult ermittelt: im „Strukturbericht für die M+E-Industrie in Deutschland“. Die Kölner Ökonomen kommen zu einem weitreichenden Ergebnis: Allein für die digitale Transformation werden im Jahr 2022 voraussichtlich 41 Prozent der Metall- und Elektro-Unternehmen mehr als 5 Prozent ihres Umsatzes investieren. Derzeit tun das nur 11 Prozent.
Worum es da konkret geht, zeigt ein Blick auf Leoni. Der Anbieter von Kabeln und Kabelsystemen mit Sitz in Nürnberg (weltweit rund 84.000 Mitarbeiter) plant zum Beispiel bis 2020 die vollautomatische Montage von Leitungssätzen für das autonome Fahren. Hier gelten besonders hohe Sicherheitsanforderungen, da das Bordnetz wichtige Systeme im Fahrzeug mit Energie und Daten versorgt.
„Diese Anforderungen zu erfüllen, ist nach heutigem Stand der Technik nur durch eine automatisierte Fertigung möglich“, erläutert Klaus Hold, Director Advanced Production & Automation Technology von Leoni. „Nur eine Maschine kann sicherstellen, dass ein Kabel immer mit genau derselben Kraft in ein Gehäuse gesteckt wird.“
Einige Produkte fertigt Leoni schon länger vollautomatisch. Für die Mitarbeiter ist das keine Bedrohung, sondern Aufbruch in neue Zeiten. So halten VR-Datenbrillen („Virtual Reality“) Einzug in die Planung der Produktion. Und es laufen Versuche mit „kollaborierenden Robotern“: Der Blechkollege arbeitet mit dem Menschen Hand in Hand; das entlastet den Mitarbeiter und macht seine Arbeit produktiver. Solche Neuerungen sind nötig, um wettbewerbsfähig zu bleiben und bestehende Standorte zu sichern.

Nach neuen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) kostet eine M+E-Arbeitsstunde etwa in Tschechien nur knapp ein Viertel so viel wie bei uns. Die Antwort darauf lautet: Investieren in die Zukunft! Und bei weiteren Lohnerhöhungen Maß und Mitte halten.
Dieses AKTIV-Themen-Special bietet einen umfassenden Überblick mit Zahlen, Fakten und Hintergründen zur Tarifrunde. Hier geht’s zur Einführung.
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Von dickem Profit können viele M+E-Betriebe nur träumen