Wenn die alten Eltern nicht mehr alleine klarkommen, ist es für viele Angehörige selbstverständlich, die Pflege zu übernehmen. Oft hängt diese Last an den Töchtern oder Schwiegertöchtern, nicht selten über Jahre. Wie sich die daraus entstehende Belastung durch einen vorübergehenden Job-Ausstieg etwa mit einer Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz meistern lässt, lesen Sie auf aktiv-online.de.

Pflegerischer Einsatz wird beim Erbe nicht automatisch berücksichtigt

Viele finden es nur gerecht, wenn die Pflegenden nach dem Tod des Pflegebedürftigen mehr vom Erbe erhalten, als Dank für ihren Einsatz. Und tatsächlich ist das auch so vorgesehen – es gibt nämlich eigene Regeln für den sogenannten Erbausgleich. Allerdings: „Die gesetzlichen Regelungen zum Erbausgleich sind sehr unkonkret und auslegungsbedürftig“, erklärt Notarassessor Martin Thelen von der Bundesnotarkammer. Außerdem gibt es den Erbausgleich nicht automatisch, sondern der Berechtigte muss ihn selbst bei den anderen Erben geltend machen.

Einen Erbausgleich gibt es nur für Kinder

Zu Beginn steht zunächst eine Selbstverständlichkeit. „Grundsätzliche Bedingung für einen Erbausgleich ist natürlich, dass es überhaupt ein nennenswertes Erbe gibt“, sagt Thelen. Ein Anspruch kann also nur entstehen, wenn es überhaupt etwas zu verteilen gibt. Wer Angehörige pflegt, die kaum etwas besitzen, geht leer aus.

Die nächste Bedingung kann allerdings in manchen Familien zu Streit führen. „Einen grundsätzlichen Anspruch auf Erbausgleich haben nicht etwa alle Angehörigen in der Familie, sondern ausschließlich pflegende Kinder und Enkel“, erklärt der Experte weiter. Das heißt im konkreten Fall: Eine Ehefrau, die ihren Partner viele Jahre lang hingebungsvoll versorgt, bekommt also trotzdem kein höheres Erbe als sonst.

Auch Schwiegertöchter, die in der Praxis ja sehr häufig die Eltern ihres Ehepartners pflegen, werden für ihre Mühe ebenfalls nicht beim Erbe berücksichtigt. „In diesem Fall ist es aber möglich, dass die Leistung der Schwiegertochter dem Sohn zugerechnet wird“, betont Thelen. Im Ergebnis bekommt dann der Sohn des Verstorbenen einen größeren Anteil vom Erbe – und das, obwohl er sich gar nicht selbst um seine Eltern gekümmert hat, sondern seine Ehefrau.

Kein Erbausgleich, wenn Kinder im Testament unterschiedlich bedacht werden

Eine weitere Voraussetzung für den Erbausgleich ist, dass alle Kinder des Verstorbenen zu gleichen Teilen erben. Gibt es kein Testament, ist das automatisch der Fall, weil dann die gesetzliche Erbfolge gilt. Sie kann allerdings problematisch sein. Lesen sie auf aktiv-online.de welche Probleme insbesondere kinderlosen Paaren die gesetzliche Erbfolge macht.

Wenn aber der Verstorbene ein Testament hinterlassen hat, kommt es auf den Inhalt an. Erben alle Kinder dasselbe, kann ein Anspruch auf Erbausgleich entstehen. Werden die Kinder in dem Testament dagegen unterschiedlich bedacht, ist kein Erbausgleich mehr möglich! „Das gilt sogar dann, wenn das pflegende Kind im Testament benachteiligt wurde“, erklärt Thelen. Hat also beispielsweise die pflegebedürftige Mutter kurz vor ihrem Tod in einem Wutanfall ihre Tochter enterbt, die sich viele Jahre lang liebevoll um sie gekümmert hat, kann die pflegende Tochter trotzdem keinen Erbausgleich fordern.

Pflegebedürftigkeit muss belegt werden

„Voraussetzung für einen Erbausgleich ist laut Gesetz eine längere Pflegebedürftigkeit des Verstorbenen“, erklärt Experte Thelen. Das klingt lapidar, doch die unkonkreten gesetzlichen Vorgaben sorgen für großes Streitpotenzial.

Zunächst muss geklärt werden, ob der Verstorbene überhaupt tatsächlich Pflege benötigt hat. Nur weil der Verstorbene alt oder krank war, war er ja nicht automatisch pflegebedürftig. Wer einen Erbausgleich will, muss die Pflegebedürftigkeit also belegen können, beispielsweise dadurch, dass der Verstorbene einen Pflegegrad hatte.

Einzelfallprüfung bei Dauer und Intensität der Pflege

Großes Konfliktpotenzial birgt auch die Frage, ob und in welchem Umfang das Kind den Verstorbenen tatsächlich selbst gepflegt hat. „Regelmäßige Besuche oder kleinere Gefälligkeiten sind noch keine Pflege“, sagt Thelen. Wurde der Pflegebedürftige beispielsweise mehrfach täglich von einem Pflegedienst versorgt, kann es leicht zu Diskussionen kommen, ob der Angehörige tatsächlich überhaupt nennenswerte Pflegeleistungen erbracht hat.

Auch bei der Frage, wie lange eine Pflege mindestens dauern muss, bis das pflegende Kind Anspruch auf Erbausgleich hat, gibt es keine festen Vorgaben. Als Faustregel kann man ein Minimum von etwa sechs Monaten ansetzen, aber: „Letztlich muss dies im Einzelfall geprüft und entschieden werden.“

Erbausgleich darf nicht das ganz Erbe umfassen

Wie hoch der Erbausgleich am Ende ist, das hängt zum einen vom Umfang und der Dauer der Pflegeleistungen ab, zum anderen aber auch von der Höhe des Erbes. „Der Erbausgleich darf nicht das gesamte Erbe umfassen, sondern nur einen angemessenen Anteil“, so Thelen.

Sicher ist also, dass eine pflegende Tochter nicht das gesamte Vermögen verlangen kann, selbst wenn sie die Mutter 20 Jahre lang aufopferungsvoll gepflegt hat, während die drei Geschwister überhaupt nichts getan haben. Klar ist aber auch, dass man trefflich darüber streiten kann, wie viel die Pflege wirklich wert war. Können die Geschwister sich untereinander nicht über den Wert der Pflegeleistungen einigen, bleibt nur der Gang vors Gericht.

Zuwendungen können den Anspruch aus dem Erbausgleich verringern

Der Sinn des Erbausgleichs ist es, das Engagement der pflegenden Kinder zu honorieren. „Hat das pflegende Kind aber bereits anderweitig Zuwendungen erhalten, verringert sich der Anspruch oder entfällt sogar vollständig“, sagt Thelen. Wurde das pflegende Kind also vom Pflegebedürftigen für die Pflege bezahlt, hat es das Pflegegeld erhalten oder wurde es anderweitig entschädigt, gibt’s weniger oder sogar gar keinen Erbausgleich.

Auch hier geht es wieder darum, ob die Gegenleistung angemessen war. Hat die pflegende Tochter ihren verstorbenen Vater jahrelang regelmäßig versorgt und dafür gelegentlich mal einen Hunderter erhalten, ist das sicherlich noch kein angemessener Ausgleich für die erbrachte Pflegeleistung. Hat der Verstorbene der pflegenden Tochter dagegen die Miete, das Essen und das Auto bezahlt, ist die Pflegeleistung damit möglicherweise schon angemessen ausgeglichen – und kein Erbausgleich mehr möglich.

Ein Rechenbeispiel

Was man schließlich noch wissen muss: „Der Erbausgleich bezieht sich nicht auf das gesamte Erbe, sondern nur auf den Erbteil der Kinder“, betont Martin Thelen. Wie das funktioniert, zeigt ein Rechenbeispiel.

Die Situation: Ein älteres Ehepaar mit zwei Kindern ist schwer krank. Die Tochter übernimmt die Pflege des Vaters und erbringt Pflegeleistungen im Wert von 10.000 Euro. Der Sohn beteiligt sich nicht an der Pflege. Nun stirbt der Vater. Der Wert des Erbes beträgt 100.000 Euro. Da der Verstorbene kein Testament gemacht hat, erhält die Witwe laut Gesetz die Hälfte des Erbes, alle Kinder zusammen die andere Hälfte.

Ohne Erbausgleich würde die Tochter einfach ganz normal ein Viertel des Erbes erhalten, ihren gesetzlichen Erbteil: 25.000 Euro. Der Sohn erhält ebenso viel. Mit Erbausgleich dagegen wird der Wert der Pflegeleistungen vom Erbe der Kinder abgezogen (also nicht vom Gesamterbe). Im Beispiel verringert sich damit der Erbteil der beiden Kinder um die 10.000 Euro Pflegeleistung. Die verbleibenden 40.000 Euro werden dann wie gehabt halbiert. Der Sohn bekommt nun nur noch 20.000 Euro – die Tochter dagegen 30.000 Euro (20.000 Euro verbleibender gesetzlicher Erbteil plus 10.000 Euro für die Pflege).

Wie kann man Streit in der Familie vermeiden?

Erfahrungsgemäß führt das Verlangen eines Erbausgleich häufig zu Streit innerhalb der Familie, sodass man sich vielfach vor Gericht wiedertrifft. Was da eine bessere Lösung wäre: „Der Pflegebedürftige sollte schon zu Lebzeiten regeln, ob und in welcher Form der Pflegende einen Ausgleich für seine Pflegeleistungen erhalten soll“, empfiehlt Thelen.

In der Praxis findet das aber so gut wie nie statt. Der pflegende Angehörige müsste ja den Senior um eine Entschädigung für seine Pflegeleistung bitten – und wer will schon so geldgierig erscheinen.

Silke Becker
Autorin

Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.

Alle Beiträge der Autorin