Berlin. Tausende Rohre liegen im Hafen von Sassnitz auf Rügen – und rücken die Kleinstadt in den Fokus der Energiepolitik. Gedacht sind die Röhren für die letzten 150 Kilometer der Pipeline „Nord Stream 2“, die in Zukunft russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland leiten soll. Über den Bau dieser Versorgungstrasse streiten sich die USA und Deutschland schon länger. Durch den Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny bekommt der Konflikt eine weitere brisante Dimension.
Die USA befürchten, dass Deutschland sich erpressbar macht
Jetzt fordern auch deutsche Politiker ein Aus für den seit Dezember unterbrochenen Bau. Die Bundesregierung will den Kreml drängen, zur Aufklärung des Giftanschlags beizutragen. „Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern“, sagte Außenminister Heiko Maas.
Warum dieser Streit? Was macht die Pipeline so wichtig? Die USA sowie Staaten in Mittel- und Osteuropa fürchten, dass sich Deutschland erpressbar macht. Russland liefert schon jetzt die Hälfte des Erdgases.

Dennoch ist der Bau der 1.200-Kilometer-Trasse erforderlich, sagt Timm Kehler, Vorstand der Branchenvereinigung Zukunft Erdgas: „In Deutschland und der EU entsteht zusätzlicher Importbedarf.“
Deutsche Bank Research kommt in einer Untersuchung Ende 2019 zu dem Ergebnis: „Die Versorgungssicherheit wird durch Nord Stream 2 nicht bedroht, sondern tatsächlich erhöht. Russland ist seit mehr als 40 Jahren ein zuverlässiger Gaslieferant für Westeuropa.“ In dieser Zeit sei es „nie zu politisch motivierten Lieferunterbrechungen“ gekommen.
Warum Deutschland mehr Gas braucht? „Durch den Ausstieg aus Atom- und Kohlestrom werden Gaskraftwerke in Zukunft mehr Strom erzeugen müssen“, erklärt Kehler. Zudem hat sich die heimische Förderung im letzten Jahrzehnt halbiert. Auch fallen die Niederlande als Lieferant mehr und mehr aus. In den letzten fünf Jahren fiel die Fördermenge um die Hälfte. Mitte 2022 wird das Erdgasfeld Groningen, das größte in Europa, wegen Erdbebengefahr aufgegeben.
Deutschland exportiert immer mehr Erdgas
Zudem ist Deutschland zunehmend nur Transitland. 2019 ging laut dem Bundesamt für Ausfuhrkontrolle die Hälfte der Gasimporte als Export in Nachbarländer. Das Ausfuhrvolumen hat sich damit gegenüber 2010 vervierfacht.
Und es geht ums Geschäft: Die USA, inzwischen größtes Förderland der Welt, wollen mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) per Schiff nach Europa liefern. Die Bundesregierung unterstützt deshalb den Bau von zwei Terminals an der Nordsee. Doch LNG ist teurer als Pipelinegas. Deshalb kommen die Projekte derzeit kaum voran.