Kassel. Draußen auf dem Meer stehen Windräder nur wenige Tage im Jahr still. Fast immer liefern die Parks Strom. Deshalb kann der Ökostrom vom Meer in Zukunft zu einem „Garanten für Versorgungssicherheit“ werden.

Das Potenzial beschreiben Wissenschaftler des Kasseler Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in einer Studie. „Neue Anlagen werden zukünftig sehr zuverlässig Strom erzeugen“, sagt Ingenieur Kaspar Knorr, einer der Autoren. „Sie werden zumindest teilweise herkömmliche Kraftwerke ersetzen können.“ Die laufen oft mehrere Tausend Stunden im Jahr und gelten als Rückgrat der Energieversorgung.

Grünstrom als Garant für Versorgungssicherheit? Bisher hielten Skeptiker das nicht für möglich. Sie argumentieren, Wind und Sonne seien zu wechselhaft, um einen Industriestaat rund um die Uhr mit Energie versorgen zu können.

Offshore-Wind liefert 363 Tage im Jahr Strom

Das Fraunhofer-Team errechnet schon für die nahe Zukunft beachtliche Werte. Heute liefern Kraftwerke auf See im Durchschnitt die Menge an Energie, die 3.170 Stunden mit maximaler Produktion entspricht. Im Jahr 2030 bereits wird dieser Wert auf 4.160 Stunden ansteigen. So erreichen die Windräder im Mittel 47 Prozent ihrer maximal möglichen Stromproduktion. Und sie werden durchschnittlich an 363 Tagen im Jahr Energie liefern, also rund um die Uhr.

Aber: „Häufig tun sie das nur mit teilweise oder stark verminderter Leistung“, macht Knorr deutlich. Der Wissenschaftler bremst übertriebenen Optimismus: „In dem Punkt bleiben Windräder den herkömmlichen Kraftwerken unterlegen.“ Andererseits lasse sich der Output der Offshore-Parks wegen des gleichmäßigen Winds gut vorhersagen; auch das trägt zur Versorgungssicherheit bei.

Doch wie kamen die Kasseler Forscher zu dem Ergebnis? „Wir haben für bestehende und zukünftig mögliche Windparks in Nord- und Ostsee anhand ihrer Orts- und Leistungsdaten im Rechner virtuelle Modelle angelegt“, erklärt Forscher Knorr. „Mit diesen Modellen und den Wetterdaten des relativ durchschnittlichen Jahres 2011 haben wir die Stromerzeugung simuliert – und zwar für jede einzelne Stunde.“

Turbinen werden immer leistungsfähiger

Dabei haben die Wissenschaftler, die die Studie für die Stiftung Offshore-Windenergie gefertigt haben, auch die zu erwartende Entwicklung der Anlagentechnik berücksichtigt. Denn Ingenieure und Techniker treiben deren Leistungsfähigkeit stetig voran.

So werden die Windräder auf See immer höher. Die Rotornabe wird von heute 104 Metern im nächsten Jahrzehnt auf 145 Meter steigen; das sorgt für stabilere Windbedingungen. Zugleich werden die Rotorblätter länger, was die Auslastung erhöht. Und die Leistung der Generatoren wird von aktuell 5,6 Megawatt bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts auf 13 bis 15 Megawatt zunehmen. All das steigert die Stromerzeugung.

Wie viel Offshore-Kapazität aber braucht Deutschland für ein stabiles Energiesystem? Die Bundesregierung will die installierte Leistung von aktuell insgesamt 5.400 Megawatt bis 2030 auf 15.000 Megawatt steigern. Das Fraunhofer-Team hält einen Ausbau auf 25.000 Megawatt für empfehlenswert und anschließend eine Verdoppelung bis zur Jahrhundertmitte.

Mit einem ähnlich starken Zubau der Offshore-Kapazitäten rechnet eine Studie zur Machbarkeit der Energiewende, die die Beratungsfirma Prognos für den Industrieverband BDI erstellt hat. Energieexperte Marco Wünsch: „Der Strom vom Meer ist ganz wichtig für eine stabile Versorgung. Natürlich brauchen wir auch Gaskraftwerke und Energiespeicher.“

Offshore-Strom schon bald wettbewerbsfähig

Übrigens: Der Ausbau auf See wird schon bald nicht mehr zum Anstieg der Ökostrom-Umlage auf den Strompreis beitragen. Haushalte und Betriebe profitieren von der technischen Entwicklung sowie vom Wettbewerb unter den Investoren. Den Zuschlag bekommt seit dem letzten Jahr derjenige, der die geringste Förderung für sein Projekt möchte.

Ergebnis der ersten Ausschreibung: Drei von vier Investoren verzichten völlig darauf. Sie erwarten, dass Offshore-Strom Mitte der 2020er Jahre wettbewerbsfähig ist.

Deutsche Branche exportiert 70 Prozent

  • In der Offshore-Wind-Industrie arbeiten 20.000 Menschen.
  • Die Branche setzt jährlich 2 Milliarden Euro um. Aktuell haben die Hersteller eine Exportquote von über 70 Prozent.
  • Die Fertigung der Anlagen erfolgt überwiegend im Norden Deutschlands. Wichtige Zulieferer gibt es aber auch in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.