Stuttgart. Die Auto-Welt ist im Umbruch: Autonomes Fahren, Vernetzung, die Digitalisierung der Produktion und besonders die Elektrifizierung der Antriebe kommen geballt mit hohem Tempo und wälzen die Branche um. Das Auto ist in Baden-Württemberg seit vielen Jahrzehnten die Basis für Wohlstand und Arbeit - doch diese Basis wackelt.
Fast jeder Zehnte im Südwesten arbeitet in einer Branche rund ums Automobil
Die Dimension zeigt ein Blick auf die Zahlen: Etwa ein Viertel des Automobilumsatzes in Deutschland wird im Südwesten erzielt. Fast eine halbe Million Jobs hängen hier direkt oder indirekt von dieser Branche ab - das ist fast jeder zehnte Arbeitsplatz.
Das geht aus der aktuellen Strukturstudie BW-E-Mobil 2019 hervor, die im Auftrag der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg erstellt wurde. Durch die Umstellung auf neue Antriebe könnten laut Studie zwischen 18.500 und 39.000 Jobs gefährdet sein. Denn der Elektroantrieb besteht aus deutlich weniger Komponenten als heutige Verbrennungsmotoren.
Treiber dieser Entwicklung sind das Pariser Klimaabkommen, neue EU-Regulierungen zu Schadstoffemissionen bis 2030 und die beschleunigte Elektrifizierung in China, dem größten Pkw-Markt der Welt.
Die Politik fördert einseitig elektrische Antriebe
Die EU droht mit Millarden-Strafen, sollten folgende Vorgaben nicht eingehalten werden: Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen von Neuwagen um 37,5 Prozent gegenüber 2021 sinken. Schon ab 2020 darf der durchschnittliche Ausstoß aller neu zugelassenen Fahrzeuge in den EU-Staaten 95 Gramm CO2 pro Kilometer nicht überschreiten.
„Diese Vorgaben setzen die Hersteller enorm unter Druck“, sagt Stefan Wolf, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall und Vorstandsvorsitzender des Automobilzulieferers Elring Klinger. Die Wirtschaft fordert in der Diskussion um die Reduzierung von CO2, alle Technologien und Antriebe in den Blick zu nehmen und weiterzuentwickeln - auch Dieselmotoren, die deutlich weniger Klimagas ausstoßen als Benziner. Wolf ist deshalb überzeugt: „Ohne den Diesel ist die schnelle CO2-Reduzierung nicht zu schaffen.“
Doch die Politik setze einseitig auf die Batterie-Elektrifizierung. Er folgert: „Die Elektromobilität wird schneller kommen, als ich es vor drei Jahren noch für möglich gehalten habe.“
Fürs Elektroauto gibt es noch viel zu wenige Ladesäulen
Allerdings - da sind sich alle Experten mit der Wirtschaft einig - muss dazu beim Ausbau der Lade-Infrastruktur der Turbogang eingelegt werden. Die Zahl öffentlicher Ladepunkte müsste von heute 17.400 (2.796 in Baden-Württemberg) bis 2030 auf eine Million explodieren, so der Verband der Automobilindustrie in Berlin.
Die Industrie stehe vor einer „Herkulesaufgabe“, betont der Südwestmetall-Vorsitzende: „Jetzt müssen alle Kräfte zusammenwirken, damit unsere Auto-Industrie bei Innovationen weiterhin an der Spitze bleibt und die Jobs am Standort Baden-Württemberg zukunftssicher gemacht werden.“ Wenn der Transformationsprozess gelinge, werde die Autobranche genauso vielen Menschen wie bisher Arbeit bieten können, ist sich Wolf sicher.
Mut macht auch eine aktuelle Studie des IAB-Foschungsinstituts der Arbeitsagentur in Nürnberg: Der deutsche Arbeitsmarkt konnte den Strukturwandel seit den 1970er Jahren ausgleichen. Unter dem Strich entstanden jeweils so viele neue Jobs wie umgekehrt abgebaut wurden.
Baden-Württemberg muss Leitmarkt und Leitanbieter für nachhaltige Mobilität werden
In den nächsten Jahren müssen dafür Zehntausende Mitarbeiter qualifiziert werden. Das können die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Branche nicht ohne Unterstützung der Politik stemmen. „Sonst laufen sie Gefahr, überrollt zu werden“, warnt Wolf. Auch die Vernetzung der Hochschulen im Land mit der Wirtschaft müsse noch besser werden.
Gefordert seien auch die Tarifparteien: „Ein ‚Weiter so!‘, bei dem alles Geld nur verteilt wird und nichts übrig bleibt, um die Transformation zu bewältigen, können wir uns nicht erlauben“, sagt der Südwestmetall-Vorsitzende.
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Die Auto-Industrie ist seit Jahrzehnten im Südwesten der Garant für Wohlstand, Sicherheit und Arbeit. Rund 470.000 Beschäftigte in Baden-Württemberg sind direkt oder indirekt vom Automobil abhängig. Doch die Branche steht enorm unter Druck. Alle Kräfte in Wirtschaft und Politik müssen jetzt zusammenwirken, damit der Transformationsprozess gelingt und die Industrie ihre weltweite Spitzenposition behält.
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