Bamberg. Der Margarethendamm 28 ist ein nüchterner Zweckbau aus Beton und Glas. Drinnen sitzen Mitarbeiter der Stadtwerke an ihren Schreibtischen, es ist ein trüber Januartag. Auf der anderen Seite der Durchgangsstraße pflügen wochenends die Kreisligakicker des FC Wacker Bamberg den löchrigen Rasen um, ein paar Meter weiter plätschert die Regnitz vorbei. Alles nix Weltbewegendes. Könnte man denken. Bis Jan Giersberg mit Karacho um die Ecke kommt.
Der Sprecher der Bamberger Stadtwerke, rote Socken zum grauen Anzug, steht auf einem zweirädrigen Roller. Es ist ein E-Scooter, ein Tretroller mit Elektroantrieb. „Unglaubliches Fahrgefühl“, ruft Giersberg gegen den Fahrtwind. Als erste Stadt in Deutschland will Bamberg die flotten Flitzer jetzt auf die Straße bringen. Ein Feldversuch läuft bereits. „Das Ding macht einfach Spaß, und die Resonanz aus der Bevölkerung ist bislang sehr positiv.“
Fahrzeug für die erste und die letzte Meile
Mit seiner Begeisterung steht Giersberg nicht allein. Denn was auf den ersten Blick anmuten mag wie ein Gadget für fußfaule Technik-Nerds, gilt unter Experten längst als das nächste große Mobilitätsding. Schon 2030 sollen europaweit 150 Milliarden Euro allein mit dem Verleih von Tretrollern umgesetzt werden. Das schätzt die Beraterfirma McKinsey. Investoren und Start-ups träumen wegen der Scooter vom großen Geld, Verkehrsexperten von weniger Autos und besserer Luft in den Innenstädten. Kommt sie tatsächlich, die Roller-Revolution auf den Straßen?
Svenja Polst vom Fraunhofer-Institut IESE in Kaiserslautern hält das für durchaus möglich. „E-Scooter können im Alltag gerade auf der ersten und der letzten Meile eine gute Rolle spielen“, sagt sie. Heißt: Der Weg zum Bahnhof oder das letzte Stück von dort bis zum Endziel, so die Verkehrsforscherin, sind typische Einsatzfälle für die trendigen Roller. Auch, weil sie auf Kurzstrecken nicht nur fixer als ein Auto, sondern zudem deutlich praktischer seien als Fahrräder. Polst: „Die Scooter sind klein, relativ leicht und klappbar, man kann sie in den Kofferraum legen oder in die Bahn mitnehmen.“
Wir brauchen klare Regeln. Aber bitte keine Überregulierung!
Oder einfach an der nächsten Ecke stehen lassen. Das Zauberwort hier ist: Sharing! Wie zuvor Leihfahrräder sollen die Scooter bald die Mobilität in den Innenstädten erhöhen. Neben den deutschen Start-ups Tier und Goflash, beide in ersten Finanzierungsrunden mit üppigen Anschubgeldern in Millionenhöhe ausgestattet, haben sich auch die milliardenschweren US-Anbieter wie Bird und Lime längst in Stellung gebracht. Das Geschäftsmodell ist immer gleich: Mit einer App auf dem Smartphone finden, entsperren und bezahlen Kunden den Roller, abgerechnet wird minutengenau.
Und ein Blick ins Ausland zeigt: Es scheint zu funktionieren. In mehreren amerikanischen Städten zählen die Roller längst zum Stadtbild. Und auch in Paris, Wien, Brüssel oder Tel Aviv kann man mit Scootern schon ganz lässig am Stadtstau vorbeisurren.
Kein Wunder, dass auch die Auto-Industrie das Potenzial der zweirädrigen Vehikel bereits erkannt hat. So testet die Daimler-Tochter Mytaxi derzeit das Roller-Sharing im portugiesischen Lissabon. Volkswagen will in Bälde zwei Modelle auf den Markt bringen, der US-Autobauer Ford schluckte unlängst ein Roller-Start-up. Und BMW hat sogar bereits einen eigenen E-Scooter im Schaufenster.
Doch hierzulande steht die Branche gezwungenermaßen noch auf der Bremse. Zwar sind die Scooter längst im Handel erhältlich. Fahren aber darf man sie derzeit nur auf Privatgelände, für den Straßenverkehr fehlt die nötige Zulassung.
Leihroller werden abends wieder eingesammelt
Auch in Bamberg dürfen Scooter-Fans wie Jan Giersberg deshalb nur auf abgesperrten Parkplätzen Fahr-Erfahrung sammeln. „Wir warten derzeit auf eine Sondergenehmigung, um erste Fahrversuche im normalen Stadtverkehr angehen zu können“, so Giersberg.
Für den Feldversuch setzen die Bamberger Stadtwerke auf eine Kooperation mit dem US-Anbieter Bird. Der stellt die Roller, sammelt sie am Abend ein und parkt sie in sogenannten Bird-Nestern, etwa am Bahnhof oder vor der Uni. Von dort sollen Roller-Fans dann morgens wieder losdüsen können. „Für uns als Stadt ist das ein Test“, sagt Giersberg. Aber einer mit klar definiertem Ziel: „Wir wollen die Roller dauerhaft ins Bamberger Verkehrssystem integrieren und mit ihnen die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs steigern.“
Auf kurzen Strecken sind Scooter schneller als ein Auto und flexibler als ein Fahrrad
Und so blickt man auch in Bamberg derzeit bange nach Berlin. Im dortigen Verkehrsministerium nämlich tüfteln sie gerade an einem entsprechenden Regelwerk für E-Scooter. Im feinsten Behördernsprech: Elektrokleinstfahrzeugeverordnung. Wie die genau aussehen wird? Dazu gibt man sich eher bedeckt, nur Gerüchte dringen da nach draußen. Klar aber ist: Es wird umfangreich, schon der erste Entwurf ist 48 Seiten stark. Frühestens im Frühjahr sei mit dem Inkrafttreten zu rechnen.
Ein Fakt, der auch den E-Scooter-Experten Jens Müller vom Online-Portal „Escooter.blog“ zur Verzweiflung bringt: „Da wünscht man sich, man wäre Österreicher.“ In Wien nämlich hat man das ganz pragmatisch geregelt. „Die haben gesagt: E-Scooter sind Fahrräder. Fertig.“ Seither dürfen die Roller in der österreichischen Hauptstadt auf Radwegen fahren. Fehlen die, fahren sie wie Fahrräder eben auf der Straße.
Braucht man Blinker? Helm? Ein Kennzeichen?
In Deutschland verzettelt die Bürokratie sich derweil in Details. Brauchen die Roller einen Blinker? Ein Kennzeichen? Helmpflicht ja oder nein? „Natürlich brauchen wir klare Regelungen“, sagt Fraunhofer-Expertin Svenja Polst. So müsse beispielsweise geklärt sein, wie Leihroller abgestellt werden müssten, damit sie nicht die Gehwege zumüllen. „Aber bitte keine Überregulierung!“ Rat der Expertin: „Wir sollten die Fahrzeuge im Verkehr testen. Und wenn etwas nicht funktioniert, dann wird eben mit Augenmaß nachjustiert.“