München. Die rasante weltweite Ausbreitung des Coronavirus wird sich massiv auf die globale Wirtschaftsleistung auswirken. Was das konkret bedeutet, auch für die konjunkturelle Lage in Deutschland, erklärt Professor Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums am Institut für Weltwirtschaft in Kiel.

Die Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft insgesamt waren Anfang des Jahres noch verhalten optimistisch. Wie hat sich das durch das Auftreten des Coronavirus verändert?

Die Folgen der Pandemie unterbrechen die vorhergesagte zaghafte Belebung der deutschen Konjunktur jäh. Sie kosten über 1 Prozentpunkt an Wirtschaftsleistung in diesem Jahr. Wir gehen nun davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um 0,1 Prozent schrumpfen wird.

Was bedeutet das für die Industrie, die ja auch vorher schon deutlich schlechtere Konjunkturdaten hatte als andere Wirtschaftszweige?

Die Industrie rutscht tiefer in die Rezession. Aber auch die Binnenwirtschaft gerät unter Stress. Sie war bislang eine Stütze der konjunkturellen Entwicklung im Inland. Beachtenswert an der neuen Situation ist aber, dass das Coronavirus Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft hat. Wir rechnen mit drastischen Rückgängen der globalen Wertschöpfung.

Wodurch kommt das?

Die Pandemie lähmt viele ansonsten wirtschaftsstarke Länder. Und diese sind durch internationale Lieferketten eng verbunden, auch mit der deutschen Industrie. Bisherige Schwerpunkte der Infektion liegen in China, Südkorea, dem Iran und Norditalien. Aber auch in Deutschland, Frankreich und Spanien steigt die Zahl der Neuinfektionen täglich. Maßnahmen, die in diesen Ländern ergriffen werden, um die Pandemie einzudämmen oder zu verlangsamen, dürften die Konjunktur erheblich aus dem Tritt bringen.

Inwiefern?

Die Vorsichtsmaßnahmen hemmen Teile des Wirtschaftslebens, vor allem überall da, wo Menschen auf engem Raum aufeinandertreffen. Das gilt zum Beispiel für Dienstleistungsbereiche wie Tourismus, Hotellerie, Gastgewerbe, Messebau, den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung. Eine kurze Durststrecke über einige Wochen können die Betriebe wohl verkraften. Wenn diese jedoch länger andauern sollte, beispielsweise über ein ganzes Jahr, dann drohen erhebliche Verwerfungen in der Unternehmenslandschaft und im Finanzsystem.

Und was bedeutet dies dann für die Industrieproduktion?

Wenn die Lieferketten, wie jetzt schon vielerorts, unterbrochen werden, kann in der Industrie nicht weiterproduziert werden. Containerschiffe, die heute nicht aus China ablegen, können auch keine Bauteile zur Weiterverarbeitung in deutsche Firmen bringen. Je länger dieser Zustand andauert, desto länger stoppt hier die Produktion. Behindert wird sie auch, wenn Arbeitnehmer erkranken oder in Quarantäne ausharren müssen, sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr erreichen oder ihre Kinder betreuen müssen.

Wie lange wird sich dieser Zustand noch hinziehen?

Die Prognose unterliegt einer erheblichen Unsicherheit, die konkreten wirtschaftlichen Folgen durch das Coronavirus sind derzeit kaum zu beziffern. Eine im Moment wahrscheinliche Annahme ist, dass die Pandemie zur Mitte des Jahres abflaut. Danach könnte es, zumindest gesamtwirtschaftlich, zu spürbaren Aufholeffekten kommen. Das wäre eine Rezession im Zeitraffer.

Heißt das, es wird auch in der Industrie wieder aufwärtsgehen?

Für die coronabedingten Einbußen gilt das sicher, ein Teil dessen, was liegen geblieben ist, dürfte sogar nachgeholt werden können – Kapazitätsreserven sind ja genug da. Allerdings haben die vergangenen zwei Jahre schon gezeigt, dass sich die deutsche Industrie viel tiefer in die Rezession bewegt hat als die Industrie weltweit. Unsere Analysen bestätigen, dass dies vor allem auf politische Unsicherheiten zurückzuführen ist.

Welche politischen Unsicherheiten sind das genau?

Das sind etwa der Brexit oder auch die weltweiten Handelskonflikte. Diese Unsicherheiten bestehen nach wie vor und wirken etwa auf die immer noch sehr schwachen Investitionsabsichten der Unternehmen ein. Die Aufmerksamkeit, die im Moment auf Corona liegt, verschleiert dies nur.