Berlin. Gute Nachricht für Ruheständler: Anfang Juli steigen die Renten kräftig. In Westdeutschland voraussichtlich um 3,15 Prozent, in den ostdeutschen Bundesländern um 3,92 Prozent. Wer im Monat 1.000 Euro Rente brutto bezieht, erhält also über 30 Euro mehr.

Für rund 51.000 Senioren hat das aber auch eine unerfreuliche Folge: Sie rutschen – oft nach jahrelanger Pause – wieder in die Steuerpflicht. Insgesamt müssen ab Juli 5,1 Millionen Rentner Steuern zahlen, wie das Finanzministerium mitteilt. Und diese Zahl wird jedes Jahr größer. Zum einen durch die regelmäßigen Rentenerhöhungen bei fixem persönlichen Rentenfreibetrag. Zum anderen durch die Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung. Und wie diese abläuft, dürfte verfassungswidrig sein – was jetzt für Wirbel sorgt.

„Die Verfassungswidrigkeit erscheint evident“

Eingeführt wurde die Besteuerung der Renten mit dem Alterseinkünftegesetz: Ab 2005 sollte für Rentner und Pensionäre gleiches Recht gelten. Dazu wird schrittweise von der Besteuerung der Rentenbeiträge auf die Besteuerung der Renten umgestellt. Aber bei immer mehr Rentnern kommt es zu einer eigentlich verbotenen „Doppelbesteuerung“ erst der Beiträge und dann der daraus resultierenden Rentenzahlungen.

Der Bund der Steuerzahler zieht deshalb jetzt mit einer Musterklage vor den Bundesfinanzhof. „Die Besteuerung der Altersrente muss dringend nachgebessert werden“, heißt es. Auch Egmont Kulosa, immerhin einer der Richter am Bundesfinanzhof, hält eine „gesetzliche Neuregelung für erforderlich“, wie er in einem Steuer-Standardwerk schreibt, denn: „Die Verfassungswidrigkeit erscheint evident.“

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Die Umstellung erfolgt in Jahresschritten

Wo genau liegt das Problem? Bei der Umstellung steigt in Jahresschritten der steuerfreie Anteil an den Rentenbeiträgen – und im Gegenzug der zu versteuernde Anteil der Renten. Der Prozess zieht sich über dreieinhalb Jahrzehnte hin, von 2005 bis 2040. Aber die beiden Veränderungen sind nicht gut aufeinander abgestimmt: Die Beiträge sind erst ab 2025 komplett steuerfrei, aber schon ab 2040 müssen Neurentner ihre Bezüge voll versteuern. Und diese 15 Jahre Abstand zwischen den beiden wichtigen Eckdaten sind eben zu wenig! Normalerweise zahlen Arbeitnehmer ja 30, 40 oder noch mehr Jahre Beiträge in die Rentenkasse ein.

Wer also zum Beispiel 2040 in den Ruhestand geht, muss die Rente voll versteuern, obwohl er bis 2025 Dutzende Jahre auf Teile seiner Beiträge Steuern gezahlt hat. „Es bedarf keiner komplizierten mathematischen Übungen“, betont Richter Kulosa, „um eine Zweifachbesteuerung nachzuweisen.“

Online-Rechner: Die Steuern auf die Rente

Immer mehr Rentner müssen immer mehr Steuern zahlen, die Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung läuft und dauert noch bis 2040 (mehr dazu: aktiv-online.de/rentenfreibetrag). Wer bald in den Ruhestand geht, kann sich mit einem kostenlosen Online-Tool schon mal einen groben ersten Eindruck verschaffen: Der „Alterseinkünfte-Rechner“ des Bayerischen Landesamts für Steuern berücksichtigt neben der Rente auch andere Einkunftsquellen – und spuckt am Ende die fällige Steuer aus. Unser Kurzlink zum Rechner: ao5.de/rente20

Laut Steuerzahlerbund sind Millionen betroffen

Gekniffen sind besonders die ab 1970 Geborenen: Von ihnen werden laut Steuerzahlerbund Millionen betroffen sein. Aber schon jetzt gibt es einige Fälle, wie der Finanzmathematiker Werner Siepe aus Erkrath errechnet hat. Ein Beispiel: Wer 45 Jahre lang Beiträge aus durchschnittlichem Verdienst entrichtet hat, 2020 in Rente geht und dann noch 17 Jahre lebt, muss für rund 23.000 Euro zweimal Steuern zahlen.

„Wer als Facharbeiter ein Berufsleben lang gut verdient hat und alleinstehend ist, wird noch viel stärker von dieser unzulässigen Doppelbesteuerung betroffen sein“, warnt Siepe. Es sei denn, die Richter zwingen die Regierung zum Nachbessern – oder die Politik nimmt sich des unbequemen Themas schon vorher an.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs: Die doppelte Besteuerung bleibt politisches Thema

Nach der Bundestagswahl will das Finanzministerium möglichst schnell eine Reform auf den Weg bringen, um auch in Zukunft eine doppelte Besteuerung von Altersrenten zu vermeiden. Damit reagiert die Politik auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs, der darin erstmals genaue Berechnungsparameter für das schon lange ungeklärte Problem geliefert hat (19. 5. 21, X R 33/19). 
Im Kern geht es darum, dass man nicht Steuern zahlen sollte für eine Rente, die auf schon zuvor versteuerten Beiträgen beruht. Nun kann man ja stetig steigende Anteile der jeweils gezahlten Rentenbeiträge von der Steuer absetzen, während der Rentenfreibetrag für jeden neuen Rentnerjahrgang weiter sinkt. Ob und wann es trotzdem zu einer Doppelbesteuerung kommen kann, ist sehr schwierig zu ermitteln.

Neue Steuerbescheide ergehen da jetzt nur noch vorläufig

Das Urteil des Bundesfinanzhofs fiel trotz der präzisierten Rechenregeln gegen den klagenden Rentner aus – inzwischen ist der Mann vors Verfassungsgericht gezogen (neues Aktenzeichen: 2 BvR 1140/21). Der Bundesfinanzhof betonte aber, dass „spätere Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften“. Das Finanzministerium hat daher gerade angeordnet, Steuerbescheide bezüglich der Rentenbesteuerung nur noch vorläufig zu erlassen.
Damit bleiben neue Bescheide in diesem Punkt von Amts wegen offen, ein Einspruch ist also nicht nötig. Trotzdem muss man eine mögliche Doppelbesteuerung wohl jeweils selbst beim Finanzamt beanstanden– und sie mit persönlichen Unterlagen nachweisen.