So könnte Shoppen in naher Zukunft aussehen: Eine Kundin schlendert zwischen Pullovern, T-Shirts, Hosen und Jacken durch ein Modegeschäft, wählt ein Kleidungsstück aus – und zückt noch vor der Anprobe ihr Smartphone, um den eingearbeiteten QR-Code einzuscannen. Der wird ihr eine Menge Fragen beantworten: Wo und wie wurde das Teil gefertigt? Welche Materialien wurden verwendet? Wurde der Pulli fair und umweltfreundlich hergestellt? Und wie ist der empfindliche Stoff zu reinigen?

„Solche Fragen beantwortet bald der Digitale Produktpass, kurz DPP. Das ist sozusagen die digitale Lebensakte eines Produkts und damit kann Shopping nachhaltiger und transparenter werden“, erklärt Anke Herbst. Sie ist Expertin für Nachhaltigkeit beim Verband der Nordwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (nordwest textil + mode) in Münster.

„Der Digitale Produktpass ist wie eine digitale Lebensakte. Damit kann Shopping nachhaltiger und transparenter werden“ 

Anke Herbst, nordwest textil + mode

Das Vorhaben ist ambitioniert. Alle Produkte in der EU – also nicht nur Kleidung – sollen einen solchen Pass erhalten. Er gilt als wichtiges Instrument, um die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte und insbesondere auch die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien voranzubringen. „2027 ist es so weit: Dann soll jedes Bekleidungstextil einen solchen Produktpass haben“, sagt Herbst.

Ab 2027 könnte es jährlich fünf Billionen Produktpässe geben

Das Ganze mache zunächst einmal viel Arbeit und ist für die Unternehmen ein zusätzlicher Kostenfaktor, wie Herbst betont. Die Branche stehe vor mehreren Herausforderungen: Es müssen Standards entwickelt und eingeführt werden. „Die Unternehmen müssen dann riesige Mengen an Produktdaten erfassen, speichern und bereitstellen. Dafür brauchen sie Schnittstellen, bestehende Systeme müssen angepasst werden.“ Schon in einem Jahr, Anfang 2026, wird der DPP für Batterien und 2027 auch für die Hersteller erster elektronischer Produkte verpflichtend. Insgesamt könnten ab 2027 also jährlich fünf Billionen Produktpässe entstehen, so die Schätzung der IHK Nord Westfalen.

Technisch kann das Vorhaben über QR-Codes oder über die ebenfalls schon länger bekannten RFID-Chips verwirklicht werden. Das sind Chips in jenen kleinen weißen Plastik-Stickern, die die Kunden schon heute an vielen Textilien finden: Sie liefern Infos per Nahfeldkommunikation und werden zum Beispiel für die Übermittlung von Logistikdaten genutzt.

„Daten – das ist bei diesem Vorhaben ein ganz wichtiges Stichwort“, sagt Herbst. Mit allen möglichen Daten muss nämlich der Pass gefüttert werden. Hilfe kommt etwa von der Forschung: Das Fraunhofer- Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin zum Beispiel arbeitet im Auftrag der EU-Kommission an einem einheitlichen Produktpass, der entlang der Wertschöpfungskette Produktinformationen verfügbar und dezentral abrufbar machen soll. Außerdem benötigt man passende IT-Lösungen, um diese Daten für den DPP zusammenzustellen.

Verbandsexpertin Herbst will deshalb in Zusammenarbeit mit Textilunternehmen eine Roadmap und Checklisten erstellen, die beim Aufbau der technischen Infrastruktur für die Erstellung eines DPP helfen können. Und sie ist immer auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen, die den Aufwand insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen verringern. Fündig geworden ist sie etwa bei dem IT-Unternehmen Narravero. Die Entwickler aus Münster haben für einen Hersteller von Batterie-Spezialkoffern aus Ibbenbüren bereits einen DPP konzipiert. „Schnell abrufbar sind so die Betriebsanleitung, Infos zur Ersatzteilbestellung, die Seriennummer des Produkts oder auch der Herstellort einzelner Komponenten.“

Der DPP kann Unternehmen und Verbrauchern Vorteile bringen

Auf die textile Welt übertragen, könnten solche Informationen Herstellungs- und Logistikprozesse in Unternehmen effizienter und nachhaltiger gestalten, wenn Infos etwa über Zertifikate und Materialzusammensetzung von Textilprodukten oder ihre Recycling- und Reparierfähigkeit sofort greifbar sind.

„Außerdem ließe sich das digitale Dokument zur Kundenbindung einsetzen“, meint die Expertin – in Form von neuen Serviceleistungen wie Infos zur Pflege oder über Reklamationsmöglichkeiten. Herbst: „Wer sich etwa über verlorene Knöpfe oder einen hakenden Reißverschluss geärgert hat und das teure Stück womöglich schon in die Alttextiliensammlung geben wollte, kann über den DPP Information bekommen, wie er an Ersatzteile oder Reparaturmöglichkeiten kommt.“

DDP: Einige Vorreiter aus der Branche

  • Die Modemarke Bonprix stattet seit Sommer 2024 Teile ihrer recycelten Badekollektion mit einem DPP aus. Dafür wurden 200 Datenpunkte entlang der gesamten Lieferkette erfasst. Die Informationen sind über einen QR-Code am Kleidungsstück abrufbar.
  • Premium-Anbieter wie Adidas und Hugo Boss oder auch Outdoorhersteller Vaude nutzen Digitale Produktpässe, um Herkunft und Lebenszyklus ihrer Produkte transparent zu machen.
Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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