Göppingen. Hightech vom Feinsten: Marco Schlegel (22) testet gerade sein Programm am Roboter. Der Roboterarm soll eine Kunststoffschale nehmen und in eine Fräsmaschine einlegen. Wenn das nicht ganz exakt klappt, muss Schlegel das Programm nachbessern.
Der Roboter ist erste Station einer Produktionsstraße, an der einfache Handymodelle nach dem Prinzip „Industrie 4.0“ gefertigt werden. Die topmoderne Anlage steht aber nicht etwa im Werk eines Marktführers – sondern im Labor der Berufsschule Göppingen!
In der baden-württembergischen Stadt werden junge Leute für die digitale Zukunft fit gemacht: „Das, was ich hier lerne, kann ich später an meinem Arbeitsplatz anwenden“, sagt Schlegel.
Er ist schon angehender Techniker. Aber Azubis – künftige Mechatroniker, Elektroniker und Industriemechaniker – lernen ebenfalls an den Anlagen, das Programm wird jeweils ans Niveau der Nutzer angepasst. Der Ablauf soll die betriebliche Realität abbilden, von der Aufgabenstellung über die Simulation am PC bis zur Umsetzung in der Produktion.
Schulleiter Jürgen Wittlinger ist stolz: „Wir sind Vorreiter“, sagt er, als er AKTIV und Kollegen einer bayerischen Berufsschule durch die Werkräume führt. Weil diese „Lernfabrik 4.0“ bisher bundesweit einmalig ist, haben die Göppinger häufig solchen Besuch.
Aber wie kann eine Berufsschule sich so was leisten? Ein durchdachtes Konzept hat den Förderverein der Schule und den Landkreis davon überzeugt, rund 750.000 Euro in die Ausrüstung zu investieren. „Die Anlage ist das aktuellste, was es derzeit zum Thema Qualifikation für Industrie 4.0 gibt“, sagt Heike Haarmann vom Hersteller Festo, der im nahen Esslingen ansässig ist. Seine Tochter Festo Didactic rüstet weltweit Schulen und Hochschulen mit Lernfabriken aus. Die Kooperation ermöglicht eine praxisnahe Fortbildung der Lehrer.
„Die Digitalisierung in der Produktion hat Fahrt aufgenommen, und die Industrie braucht dafür ausgebildete Fachkräfte“, weiß Schulleiter Wittlinger.
Aus Sicht vieler Unternehmen ist es denn auch höchste Zeit, flächendeckend mehr digitale Bildung an die Berufsschulen zu bringen. In einer gemeinsamen Erklärung haben zum Beispiel jetzt die Verbände der Arbeitgeber und der Berufsschullehrer in Baden-Württemberg eine „modernere und umfassendere Ausstattung der beruflichen Schulen“ gefordert. Erfreut ist man über den Vorstoß der Landesregierung, bald an acht bis zehn weiteren Schulen so eine Lernfabrik 4.0 einzurichten. Die Regierung im Ländle macht dafür schon mal ein paar Millionen Euro locker, weiteres Geld soll von den Landkreisen und aus der Wirtschaft kommen.
„Der Abstand zur betrieblichen Praxis wird vielerorts größer“
Andernorts ist man leider längst noch nicht so weit. Das bundesweite Bild skizziert Wolfgang Gollub, beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall für die Nachwuchssicherung verantwortlich, so: „Die Berufsschulen hinken hinterher. Der Abstand zwischen dem, was an den Schulen vermittelt wird, und dem, was in der betrieblichen Praxis nötig ist – dieser Abstand wird derzeit vielerorts größer.“
Glücklich schätzen darf sich also, wer in Göppingen lernt. Marco Schlegel geht zwar nach der Weiterbildung zum Techniker erst mal auf Jobsuche – um seine Zukunft muss er sich aber keine Sorgen machen.