Senta Pietschmann hüpft auf den dunkelgrauen Platten. Unter ihren Turnschuhen liegen keine normalen Pflastersteine, sondern Solar-Module für Gehwege. „Die sind fürs Drauftreten geschaffen“, sagt der AES-Park-Guide (AES ist die Abkürzung für All Electric Society).

Damit Schatten und Flecken nicht die Leistung der gesamten Solarfläche herunterziehen, sind immer nur je zehn Pflastersteine an einen Mikroinverter angeschlossen. „In den Niederlanden oder in Dubai sieht man solche Gehwege schon öfter“, erzählt Pietschmann.

Die Ingenieurin für Mechatronik zeigt Besuchern des AES-Parks in Blomberg, wie eine vollständig elektrifizierte Gesellschaft funktionieren würde, eine „All Electric Society“.

Pietschmann ist ein großer Fan der „Sendung mit der Maus“. Die Kindersendung hatte bei ihr das Interesse für Technik geweckt: Deswegen machte sie ein duales Studium bei Phoenix Contact Phoenix Contact und an der Technischen Hochschule OWL. Danach arbeitete sie in der Entwicklung und im Vertrieb, bevor sie in die Unternehmenskommunikation von Phoenix Contact wechselte.

Ein Park für Jung und Alt

Wie die „Maus“ will sie die Leute da abholen, wo sie sind und ihnen die technische Welt verständlich erklären. Immer noch sitzt die gestandene Ingenieurin sonntags vor dem Fernseher und lernt von der Maus. Damit auch Kinder und Eltern ihren Spaß in der Hightech-Erlebniswelt haben, hat Pietschmann das Büchlein „Kim und Alex entdecken den All Electric Society Park“ mitgestaltet. Die Geschwister Kim und Alex entdecken zusammen mit Mutter, Vater, Hund und Teddy, dass Strom mehr ist als Steckdose und Batterie.

Die Zukunftsgesellschaft All Electric Society stillt ihren Energiehunger allein mit grünem Strom. Der AES-Park macht es im Kleinen vor, indem er Solar und Wind mit verschiedenen Speichern, Wärmepumpen, Ladestationen und Abwärmenutzung vernetzt.

„Die Technik ist da, sie muss nur genutzt werden“ 

Senta Pietschmann, Ingenieurin, Park-Guide

Die Vision scheint weit entfernt: Für unser heutiges Leben brauchen wir noch reichlich fossile Brennstoffe wie Gas, Öl und Kohle. Die Technik, um die es hier geht, gibt es heute zwar schon – etwa das Solarpflaster. Im AES-Park wird sie aber besonders clever kombiniert: zu einem hoch automatisierten Kreislauf aus Erzeugen, Umwandeln, Speichern und Verbrauchen von Strom.

Phoenix Contact hat sich den futuristischen Park am Stammsitz für 25 Millionen Euro zum 100-jährigen Jubiläum gegönnt. Er wurde von den Mitarbeitern konzipiert und umgesetzt. Sie verbauten dabei zahlreiche Steckverbinder, Mikroinverter und weitere Elektrifizierungs- und Automatisierungskomponenten aus eigener Herstellung. Von der Lernkurve profitiert das ganze Unternehmen. „In jeder Anwendung stecken unsere Bauteile. Wir sammeln selbst Daten und testen, wie langlebig unsere Produkte sind“, sagt die Ingenieurin.

Solarpaneele auch nach Norden ausgerichtet

Nur eine „grüne Wand“ aus Hopfenranken trennt das Gelände von der Fabrik. Die Ranken sind mit halb transparenten Solarpaneelen überdacht: Dem Hopfen tut ein bisschen Schatten gut.

Photovoltaik-Paneele kennt man von Dächern und Balkonen, aber im AES-Park zeigt sich, was man sonst alles mit der Kraft der Sonne anstellen kann: Zwei riesige künstliche Solarblumen folgen ihr den ganzen Tag wie echte Sonnenblumen. Insgesamt 550 Photovoltaik-Module bedecken Dächer und Carports sowie die Fassade des Besucherpavillons in den vier Himmelsrichtungen. Ja, auch im Norden! „Wir wollen mit dem Mythos aufräumen, dass sich Photovoltaik auf der Nordseite nicht lohnt: Auch diffuses Licht hat eine Wirkung.“

Jährlich erzeugt der Park rund 155 Megawattstunden Strom, so viel wie der Jahresverbrauch von knapp 40 Vier-Personen-Haushalten. Die Versorgung klappt sogar im Winter. Wetterbedingt müsse ab und zu dann nur das Laden von Elektrofahrzeugen eingeschränkt werden.

Für ein Windrad reicht der Platz zwar nicht, aber das Team hat eine ausrangierte Windrad-Gondel ein paar Meter über dem Boden installiert. Im weißen Ei ist die Illusion, sich hoch auf dem Turm zu befinden, fast perfekt. Der Wind heult aus den Lautsprechern. „Viele Leute haben Angst vor Windrädern“, erzählt Pietschmann, fürchten etwa, dass sie Eisklumpen schleudern oder Blitze anziehen würden. „Es gibt jedoch Lösungen, die Räder bei Vereisung abzuschalten und bei Blitzeinschlag auf Beschädigung zu prüfen.“

Riesen-Akku speichert Strom für Dunkelflauten

Sonne und Wind gibt es doch nicht zu jeder Zeit? Speicher puffern die Schwankungen ab. Überschüssigen Strom bunkert der AES-Park in einem weißen Container voller Lithium-Eisenphosphat-Batterien, um ihn bei Dunkelflaute und Abendveranstaltungen zu nutzen. Wenn der Riesen-Akku randvoll ist und das Wetter sonnig bleibt, kann auch das Werk darauf zugreifen. Ein kleinerer Lithium-Ionen-Batteriespeicher steht auf dem Parkplatz, damit Mitarbeitende und Besucher genug Saft für ihre E-Autos und -Bikes haben.

Viele Speicher würden sich allerdings erübrigen, wenn die Stromer ihre Ladung auch wieder ans Haus oder ins öffentliche Netz abgeben könnten. In manchen Ländern ist das schon Alltag, in Deutschland noch nicht. Phoenix Contact produziert Technik für die Steuerung und Abrechnung beim sogenannten bidirektionalen Laden und hat dem Thema einen eigenen Raum gewidmet. Dort kann der Besucher eine Auto-Attrappe an der Wallbox mit Wechselstrom langsam oder mit Gleichstrom schnell an der Ladesäule laden.

Park wird ständig erneuert und erweitert

Und wenn der Strom mal ausfällt? Aus der vollen Autobatterie lässt sich drei Tage lang Elektrizität für Licht und Kühlschrank zapfen. Oder nur zehn Stunden, wenn die Waschmaschine läuft, der Backofen an ist und ein Film gestreamt wird. Das Auto kann stattdessen aber auch ins Netz speisen: Dann gehen beispielsweise in der Straße ein paar Lichter an.

„Wir sind auf einem guten Weg. Die Technik ist da, sie muss nur genutzt werden“, betont Senta Pietschmann. Der AES-Park wird ständig erneuert und erweitert. Phoenix Contact betreibt auch eine AES-Factory, in der alles Gezeigte bereits umgesetzt und in der tatsächlich produziert wird. Das Produktionsgebäude deckt seinen Energiebedarf, den es für den hauseigenen Maschinenbau, die Montage, das Büro und ein kleines Logistikzentrum benötigt. „Da wollen wir bald Führungen anbieten.“

Das Unternehmen

Phoenix Contact entwickelt und fertigt Verbindungs- und Automatisierungstechnik für die Erzeugung, den Transport und die Verteilung von Energie und für den Bau von Geräten, Maschinen, Ladeinfrastruktur und Schaltschränken. Das Familienunternehmen mit Stammhaus in Blomberg beschäftigt 20.000 Mitarbeitende weltweit und hat 2024 rund 3 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Die AES-Erlebniswelt in Blomberg steht durchgehend von morgens bis abends allen Interessierten gratis offen. Schulklassen und Studierende sind genauso willkommen wie Kindergärten oder Familien und Vereine – sowie natürlich Experten und Kunden.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

Alle Beiträge der Autorin