Heidenheim/Nürnberg. Er weiß noch genau, wie er sich gefühlt hat in jener Zeit: „Entmutigt, desillusioniert“, sagt Michael Bosch. Der 34-Jährige steht auf einer Brücke im schwäbischen Herbrechtingen und erzählt von seiner Vergangenheit: „Wenn du langzeitarbeitslos bist, kannst du nicht sagen, in zehn Jahren will ich Frau, Kinder und ein Haus haben. Man weiß ja gar nicht, wie es weitergeht.“

Dann zieht er einen großen Schlüsselbund aus der Hosentasche, will seinen Arbeitsplatz zeigen. Er ist jetzt Hausmeister in einem Pflegeheim, hat den Sprung in ganz normale Beschäftigung geschafft. Obwohl die Chance dafür statistisch minimal ist: Für jeden Langzeitarbeitslosen liegt sie pro Monat im Schnitt bei nur 1,5 Prozent, trotz Aufschwung am Arbeitsmarkt.

Etwa eine Million Menschen in Deutschland sind schon länger als ein Jahr arbeitsuchend. Die Zahl ist seit sechs Jahren fast unverändert, obwohl die Arbeitslosenquote immer weiter sinkt. Das IAB-Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sieht bei der Langzeitarbeitslosigkeit eine „Verfestigung“: Sie dauere im Schnitt noch länger als früher. Zwischen 2010 und 2014 erhöhte sich der Anteil jener, die schon zwei oder noch mehr Jahre dabei sind, von 50 auf 54 Prozent.

Bosch hatte Glück. Nüchtern sagt sein Chef, Ulrich Herkommer: „Eigentlich haben wir niemanden gebraucht. Aber seine Vermittlerin hat nicht lockergelassen.“ Immerhin, dieser Kandidat brachte das mit, was 51 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Deutschland fehlt: eine abgeschlossene Ausbildung. Die Statistik zeigt: Nichts schützt mehr vor Langzeitarbeitslosigkeit als Bildung. Bosch hat Industrie-Elektroniker gelernt, auch wenn es nie sein Traumberuf war. Aber schon nach der Lehre kamen für ihn Stolpersteine.

Erst war in seinem Ausbildungsbetrieb nur eine Stelle als Maschinenführer frei. Als die Befristung auslief, heuerte er bei Zeitarbeitsfirmen an. Dann kam ein fester Job beim Bau von Strommasten. „Das war aber sehr harte Arbeit, ich war nicht belastbar genug“, erzählt er. „Es ging nur ein halbes Jahr gut.“

Wie lange er insgesamt arbeitslos war, weiß er gar nicht mehr genau. „Drei, vier Jahre? Irgendwann stumpfst du ab und gewöhnst dich dran.“

Seine Vermittlerin im Jobcenter brauchte nicht nur Überredungskünste, sie bot Boschs künftigem Chef auch einen Lohnkostenzuschuss für ein Jahr an – und der probierte es schließlich mit ihm, nahm ihn als Hausmeister-Assistenten.

„Das Jobcenter hat immer wieder gefragt, wie es läuft, und Hilfe angeboten“, freut sich Pflegeheim-Leiter Herkommer, „und dann wurde bei uns sogar eine Hausmeisterstelle frei.“ Er blickt seinen neuen Hausmeister zufrieden an: „Er hat seine Chance genutzt.“ Erst im Oktober hat Michael Bosch diese Arbeit angetreten, eine ganz normale, ungeförderte Stelle, sogar mit Eigenverantwortung.

Arbeitsmarktexpertin Kerstin Bruckmeier erforscht beim IAB die größeren Zusammenhänge der Langzeitarbeitslosigkeit. Es gebe zwar viele Ansatzpunkte, die Aussichten der Betroffenen durch Fördermaßnahmen zu erhöhen, sagt sie. Aber: „Letztlich ist es auch ein Nachfrageproblem.“ Man könne Jobs, für die sie geeignet sind, eben nicht verordnen.

Auch nicht in Baden-Württemberg, dem Bundesland, das mit florierender Wirtschaft und niedrigen Arbeitslosenquoten glänzt. Norbert Bach, Geschäftsführer des Jobcenters Heidenheim, weiß: „Die Anforderungen der Unternehmen und das, was viele Langzeitarbeitslose mitbringen, klaffen immer weiter auseinander.“ In der Industrie etwa werde das Arbeitsumfeld immer komplexer.

Im Jobcenter Heidenheim kümmert sich jeder Betreuer um bis zu 150 Betroffene zugleich. „Wir bräuchten mehr Personal und Geld“, so Bach. Denn die allermeisten Kunden brächten einen Rucksack voller Probleme und Vermittlungshemmnisse mit, zum Beispiel fehlende Schulabschlüsse, Schulden, Erkrankungen.

„Komplexe Profillage“ nennen das die Betreuer – und Geschäftsführer Bach verdeutlicht: „Das haben wir bei 65 Prozent unserer Klientel. Da müssen Sie erst grundlegende Probleme lösen, bevor ein einfacher Job überhaupt infrage kommt.“ Der freie Arbeitsmarkt gebe für viele solcher Menschen einfach nichts mehr her, so seine Erfahrung.

Mathias Mühlberger arbeitet hier im Jobcenter als Betreuer, hat sich auch schon um Michael Bosch gekümmert. „Es dauert drei bis sechs Monate, bis man zu einem Klienten ein Vertrauensverhältnis hat“, veranschaulicht er. Viele seien resigniert, hätten es sich mit Hartz IV schon eingerichtet. „Man muss ihnen eine Perspektive zeigen und darauf hinarbeiten, dass sie diese auch erreichen wollen.“

Um sie wenigstens in fast normale Beschäftigung zu bringen, gibt es Modelle, welche die Arbeitschancen durch Lohnkostenzuschüsse erhöhen. Expertin Bruckmeier hält neben den Instrumenten aktiver Arbeitsmarktpolitik Prävention für sehr wichtig – vor allem im Bereich Bildung, aber auch bei der Gesundheit.

Bosch wechselt im Pflegeheim gerade eine Glühbirne. „Frau, Kinder und Haus habe ich immer noch nicht“, erzählt er. „Aber jetzt kann ich mir Zukunftspläne wieder leisten.“

Jobcenter Heidenheim: Teambesprechung. Foto: Eppler
Jobcenter Heidenheim: Teambesprechung. Foto: Eppler

Die große Herausforderung für die Jobcenter

  • Bundesweit sind 38 Prozent aller Arbeitslosen schon länger als ein Jahr ohne Beschäftigung, 2010 waren es noch 35 Prozent.
  • Ein gutes Viertel der Langzeitarbeitslosen ist 55 Jahre und älter.
  • Mehr als die Hälfte hat keine abgeschlossene Berufsausbildung.