Berlin. Die guten Nachrichten von den gesetzlichen Krankenkassen sorgten kürzlich für Erstaunen: 600 Millionen Euro haben sie im ersten Halbjahr mehr eingenommen als ausgegeben. Zwölf Monate zuvor hatten sie noch 490 Millionen Euro Defizit. Stolz verkündete Gesundheitsminister Hermann Gröhe: „Unser Gesundheitswesen steht finanziell auf einem sicheren Fundament.“
Also alles gut? Von wegen. Das dicke Plus verdanken die 117 Krankenversicherungen lediglich der Konjunktur und höheren Beiträgen. Zu Jahresbeginn haben sie die Zusatzbeiträge für ihre 55 Millionen Mitglieder um im Schnitt 0,2 Prozentpunkte angehoben.
Und die Beiträge werden weiter steigen. Denn tatsächlich ist die Kostendynamik im Gesundheitswesen ungebremst. Um jährlich 4 Prozent legten die Ausgaben je Versicherten im letzten Jahrzehnt zu, bis 2040 rechnen Experten des Beratungsunternehmens BDO mit inflationsbereinigt 2,5 bis 3 Prozent Zuwachs – Jahr für Jahr. Dazu tragen bei: innovative Arzneien, neue Medizintechnik, die steigende Zahl Älterer – und die Reformgesetze des Gesundheitsministers. Von diesem Jahr bis 2020 bescheren sie den Versicherern zusätzliche Ausgaben von 15 Milliarden Euro.
Wie lässt sich diese Kostendynamik bremsen? Auf Dauer sind Einschnitte beim Leistungskatalog der Krankenkassen nötig und intensiver Wettbewerb im Gesundheitswesen, fordert Volker Hansen, Experte für Soziale Sicherung beim Arbeitgeber-Dachverband BDA. Die Versicherungen bräuchten Vertragsfreiheit, zum Beispiel mit Krankenhäusern. „Würden sie mit Kliniken Verträge über Preise, Mengen und Qualitäten schließen, könnte das zu mehr Effizienz und Kostensenkung beitragen.“ Und den Abbau der Überkapazitäten bei Krankenhäusern beschleunigen.
Sie sind ein Kostentreiber. Seit 2011 nahmen die Ausgaben um 10 auf 70 Milliarden Euro zu. Zugleich ist ein Fünftel der Betten leer. Laut Krankenkassen-Spitzenverband könnten einige Hundert der 1.900 Krankenhäuser schließen, ohne die wohnortnahe Versorgung zu gefährden.
Das sagen auch die Kassen. Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbands, macht sich für „mehr wettbewerbliche Lösungsansätze“ stark. Was das bringt, zeigen die Rabattverträge von Versicherungen mit Herstellern patentfreier Medikamente. Im vergangenen Jahr halfen sie, 10 Prozent der Arzneiausgaben zu sparen. Trotzdem stiegen die Pharma-Kosten, auch wegen innovativer Präparate. Denn der größte Kostentreiber im Gesundheitswesen bleibt – der medizinsche Fortschritt.