Kaiserslautern. Paul Lukowicz ist ein freundlicher Mann, aus blauen Augen blitzt chronisch gute Laune. Nur bei einem Stichwort wird er grantig: Diäten. „Komplett nutzlos, blödsinnig, rausgeworfenes Geld!“

Lukowiczs Abneigung gegen Hungerkuren hat nichts mit persönlichen Gewichtsproblemen zu tun. Er findet nur, dass man überzählige Pfunde viel effektiver loswerden könnte. „Mit künstlicher Intelligenz! Wäre kein Problem!“, sagt der Informatik-Professor.

Wie bitte? Da legt Lukowicz los: Man müsste sich einfach „ein paar Elektroden in den Hals implantieren lassen, mit einer App koppeln, schon wüsste man, wie viel Kalorien wir gefuttert haben“.

Schräger Vogel, denkt man da. Aber so ticken sie eben hier: im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Von außen sieht das fünfstöckige Gebäude an einer Ausfallstraße unscheinbar aus, als säße da eine Versicherung. Aber drinnen basteln Hunderte Forscher aus 50 Ländern an der Zukunft. Unserer Zukunft! „Und die hat längst begonnen“, sagt Lukowicz. Er lächelt übrigens wieder.

Künstliche Intelligenz, kurz KI – bei dem Thema steht man ganz schön unter Strom, auch ohne Elektroden im Hals. Was hört man da nicht alles: Maschinen, die eigenständig Entscheidungen treffen. Software, die sich selbst fortschreibt, lernfähig ist, logische Schlüsse aus aberwitzig großen Datenmengen zieht. Science-Fiction? Realität! Industrie 4.0!

Künstliche Intelligenz: Wann übernehmen die Maschinen die Macht? Verdrängen sie uns Menschen? Wir haben Professor Andreas Dengel gefragt, einen der weltweit führenden Forscher:

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„Das Digitale wird immer präsent sein“

Unter Ökonomen gilt die KI als Wachstumsturbo. So könne die deutsche Wirtschaftsleistung bis 2030 durch den frühzeitigen Einsatz von künstlicher Intelligenz um bis zu 4 Prozent höher liegen als ohne diese Zukunftstechnologie. Das geht aus einer aktuellen Studie der Beraterfirma McKinsey hervor.

Und das Zeug scheint auch wirklich überall drinzustecken. In selbstfahrenden Autos. In Chips, die man auf die Haut kleben kann, damit sie unsere Körperfunktionen messen. In Computern, die unsere Sprache lernen oder Röntgenbilder analysieren. Die Liste ließe sich fortsetzen, jeden Tag wird sie länger.

Das ist es, woran sie hier in Kaiserslautern und an den Schwesterstandorten Bremen und Saarbrücken tüfteln: Das DFKI gilt auf seinem Gebiet als die weltweit führende Forschungsinstitution. Was bedeutet der rasante Fortschritt für uns? „Unsere Art zu leben und zu arbeiten, wird sich total ändern“, sagt DFKI-Wissenschaftler Lukowicz. „Die digitale und die physische Welt werden verschmelzen. Und das sehr bald!“

Was er meint: Sich per Smartphone sonstwo einzuloggen, um „was zu checken“, damit ist es vorbei. „Wir werden Datenbrillen tragen, Sensoren am oder gar im Körper haben“, sagt Lukowicz. „Das Digitale wird immer präsent sein.“ Und so die Intelligenz des Menschen ergänzen. Etwa im Job: „Ein Mitarbeiter, der bislang vor allem Schleifmaschinen gewartet hat, wird mithilfe von Anweisungen über Datenbrillen schnell in der Lage sein, auch andere Maschinen zu bedienen oder zu reparieren.“ Jetzt lächelt Lukowicz nicht nur. Er strahlt!

Die Symbiose aus Mensch und Maschine, die uns schlauer, leistungsfähiger, produktiver macht – so viel Gloria umflorte die KI nicht immer. Noch vor ein paar Jahren galt die KI als totes Feld. Zu oft hatten Forscher den Durchbruch angekündigt. Er ließ auf sich warten.

Jetzt aber ist er da. „Die erforderliche Rechenpower ist verfügbar, und es gibt den Rohstoff, mit dem man die Systeme füttern kann – Daten!“, sagt Experte Lukowicz. Mit federnden Schritten eilt er durch die Flure des Forschungszentrums. Hinter gläsernen Türen starren Informatiker auf Monitore. Lukowicz stoppt abrupt, reißt eine der Türen auf.

Im nüchternen Raum dahinter werkelt der Informatiker Benjamin Bischke gerade am Projekt „Deep Eye“. Ein Paradebeispiel für die Power künstlicher Intelligenz. „Deep Eye soll Waldbrände oder Überschwemmungen in Satellitenbildern erkennen“, erklärt Bischke. Dafür wird das System mit Fotos gefüttert, bis es schlau genug ist, Katastrophen selbst zu identifizieren. Man zeigt der Maschine Beispiele, und sie lernt daraus – „Deep Learning“ nennen Experten das. Der Sinn bei Deep Eye: „Mit den Informationen kann die KI dann gezielt Rettungskräfte koordinieren“, so Bischke.

Supercomputer besiegt sogar den Krebs

Wenn künstliche Intelligenz jetzt schon die Feuerwehr ruft – wo wird das enden? Sind Maschinen bald schlauer als wir? Hat nicht der kalifornische KI-Guru und Google-Mastermind Ray Kurzweil angekündigt, dass Computer schon 2019 die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns übertreffen werden?

Professor Andreas Dengel, Leiter des DFKI-Standorts Kaiserslautern, lehnt sich bei solchen Fragen nachdenklich im Sessel seines Büros zurück und legt die Fingerspitzen aufeinander. „Künstliche Intelligenz kann schon heute manche Aufgaben besser lösen als ein Mensch“, sagt er. Wenn es gelte, auf Inhalte, Daten, Fakten zurückzugreifen, dann könne Homo sapiens nicht mithalten. „Ein Computer kann die Masse an Informationen besser überblicken.“

Dengel meint Fälle wie diesen aus Japan: Dort war eine an Blutkrebs erkrankte Patientin über Monate erfolglos behandelt worden. Dann fütterten Ärzte den IBM-Superrechner Watson mit den genetischen Daten der Frau. Der Computer verglich den Fall mit Millionen klinischer Studien – und fand binnen Minuten heraus, dass die Frau an einer seltenen Form der Leukämie litt. Eine Therapie lieferte Watson gleich mit – sie schlug an.

Dennoch: „Den Menschen überflüssig machen – das werden Maschinen wohl nie“, relativiert Dengel. Rationale Aspekte, die könne ein Computersystem abbilden. „Emotionale und rationale zusammen, das wird nur schwer möglich sein.“ Das schaffe, zumindest auf absehbare Zeit, nur der Mensch. „Und überhaupt: Wenn es uns eines Tages zu unheimlich wird, gibt es ja noch die Radikallösung: Den Stecker ziehen!“

1950

Der Informatiker Alan Turing entwickelt einen Test, der ermitteln soll, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch.

1956

Dartmouth-Konferenz: Forscher halten es für grundsätzlich möglich, eine Maschine zur Simulation intelligenter Vorgänge zu bauen.

1997

Sensation: Der Supercomputer „Deep Blue“ von IBM besiegt den amtierenden Schachweltmeister Gary ­Kasparow.

2012

Das autonome Auto von Google erhält die Straßenzulassung im US-Bundesstaat Nevada. Bedingung: Noch muss ein Mensch hinterm Steuer sitzen, der zur Not eingreifen kann.

2014

Durchbruch! Der erste neuromorphe Computerchip ist da: True North ahmt in seinem Aufbau die Struktur von Nervenzellen und Synapsen im menschlichen Gehirn nach.

2015

Game over: Zum ersten Mal schlägt KI einen Menschen im asiatischen Brettspiel Go. Bislang galt das als undenkbar. Name des künstlichen Champs: AlphaGo von Google.

2050

Jetzt wird’s beinhart. Experten prophezeien: Robo-Kicker treten gegen den amtierenden Fußball-Weltmeister an. Und man geht nicht auf den Platz, um zu verlieren …