Solche Tage erlebt man nicht oft: Ein neuer US-Präsident wird gewählt und eine Bundesregierung zerbricht. Turbulente Zeiten. Dabei brauchen Unternehmen gerade jetzt Verlässlichkeit. Ein Lichtblick: In Deutschlands größter Industriebranche, der Metall- und Elektro-Industrie, wurde ein Tarifabschluss erzielt. Doch reicht das, um die Wirtschaft wieder nach vorn zu bringen? Welche Herausforderungen nach dem Ampel-Aus bleiben, erklärt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, im Interview.

Herr Hüther, Arbeitgeber und IG Metall haben sich geeinigt. Dennoch machen sich viele weiter Sorgen um die heimische Industrie. Zu Recht?

Wir beobachten bei den klassischen Indikatoren für die Standortqualität einen akuten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland ist wieder da, wo es vor 20 Jahren schon mal war. Der Stand der Unternehmenskosten und der Infrastruktur ist alarmierend. Das kann nicht unser Anspruch sein. Sowohl die privaten als auch die öffentlichen Investitionen reichen nicht aus, um den Herausforderungen gerecht zu werden.

Was belastet den Standort?

Die Arbeitskosten in Deutschland gehören international zu den höchsten. Auch die Lohnstückkosten weisen im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau auf. Bei den Unternehmenssteuern sind wir zurückgefallen. Unser Steuersystem ist seit 15 Jahren nicht reformiert worden, und wir schleppen sogar immer noch den Rest-Soli mit uns herum, der zum Großteil von Unternehmen gezahlt wird. Auch die überbordende Bürokratie schadet der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts.

„Das ist für die deutsche Wirtschaft ein perfekter Sturm“

Zusätzlich haben wir noch veränderte politische Rahmenbedingungen: Die Folgen der Deglobalisierung, der Dekarbonisierung und des demografischen Wandels prallen gerade quasi zeitgleich auf das deutsche Geschäftsmodell und bringen es enorm unter Druck. Das ist für die deutsche Wirtschaft ein perfekter Sturm, gepaart mit politischer Unsicherheit. 

Zu dem jetzt noch die Wahl von Trump zum neuen US-Präsidenten kommt. Was heißt das für uns?

Das Worst-Case-Szenario ist eingetreten. Macht Trump seine Androhungen war, müssten sich Unternehmen auf einen teuren globalen Handelskrieg einstellen, der nach IW-Berechnungen über die kommenden vier Jahre 180 Milliarden Euro kosten könnte. Es wird nicht bei dieser einen Hiobsbotschaft bleiben. Deutschland muss mehr denn je lernen, auf eigenen Beinen zu stehen – im Geopolitischen wie in der Verteidigungspolitik. Die deutsche Wirtschaft ist international vernetzt. Sie lebt quasi davon. Auch deshalb ist es schon lange nicht mehr vermittelbar, dass es bei den EU-Handelsabkommen, etwa mit den Mercosur-Staaten, nicht weitergeht.

Die Dekarbonisierung, also der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität, läuft hingegen.

Deutschland ist bei der Dekarbonisierung relativ weit vorn. Es wird aber unterschätzt, dass die Dekarbonisierung eine sehr kapitalintensive Investitionsagenda bedeutet. Die Transformation benötigt einen Umbau des Kapitalstocks. Zudem geht es um einen politisch induzierten, historischen Strukturwandel per Termin. Wir steigen aus der fossilen Energie binnen 20 Jahren aus – ein sehr überschaubarer Zeitraum, um unsere Wirtschaft auf ein völlig neues Fundament zu stellen. Das ist eine große Herausforderung.

Der demografische Wandel wahrscheinlich nicht minder, oder?

Klar ist: Wir benötigen gezielte Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt, da die Zahl der erwerbsfähigen Menschen im Land abnehmen wird. Zugleich brauchen wir auch ein insgesamt höheres Jahresarbeitszeitvolumen, um die Folgen abzumildern. Wenn ein Vollzeiterwerbstätiger in Deutschland rund 250 Stunden weniger im Jahr arbeitet als sein Pendant in der Schweiz, dann ist das erklärungsbedürftig. Da liegt eine gesellschaftliche Debatte, die wir führen müssen.

Gibt es auch Grund für Optimismus?

Die deutsche Wirtschaft ist geprägt von einem starken Industrie-Dienstleistungs-Verbund mit einer hohen globalen Vernetzung und einer guten regional ausbalancierten Clusterstruktur. Herausforderungen sollten auch als Chance begriffen werden. So ist die Digitalisierung ein „Potenzialfaktor“. Mit ihr können Firmen neue Chancen und Geschäftsmodelle realisieren. Um dies zu verwirklichen, bedarf es noch eines besseren Ausbaus der Infrastruktur, wie dem Glasfasernetz. Deutschland gibt 3,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung aus. Im internationalen Vergleich ist das gut. Es ist aber nicht nur auf staatliche Rahmenbedingungen, sondern auch auf beträchtliche Investitionen der Privatwirtschaft zurückzuführen. Diese sollten für die Innovationsfähigkeit des Landes weiter gefördert werden.

Rund 3 Prozent der Wirtschaftsleistung: Sicherheitsexperten fordern das auch für die Verteidigung. Das dürfte sehr teuer werden.

„Der Weg zur Verteidigungsfähigkeit ist nicht kostenlos möglich“

Durch den Wahlausgang in den USA müssen sich Europa und Deutschland in der Verteidigungspolitik neu aufstellen. Der Weg zur Verteidigungsfähigkeit wird dabei natürlich nicht kostenlos möglich sein und kann nur durch eine Zusammenarbeit innerhalb der EU realisiert werden. Es bleibt zu hoffen, dass spätestens die kommende Regierung sich dieser Verantwortung stellt.

Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

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