München. Etwas geringere Abzüge beim Kinderzuschlag hier, etwas mehr Unterstützung bei Ausgaben für Schule und Freizeit dort: Die Bundesregierung will die Situation von Kindern aus einkommensschwachen Familien verbessern. Einige Neuerungen des „Starke-Familien-Gesetzes“ sind seit Kurzem in Kraft, andere werden ab kommendem Jahr gelten. Viele bedürftige Familien werden dann einige Euro mehr im Geldbeutel haben. Ob sich dadurch ihre Lebenssituation grundlegend ändert?
Glaubt man Fachleuten wie Professor Andreas Peichl, Wirtschaftswissenschaftler am Münchner Ifo-Institut, dürfte das Gesetzespaket wohl eher nicht der große Wurf werden. „Die Änderungen gehen zum Teil zwar in die richtige Richtung“, sagt er. An einem Grundproblem der deutschen Armutsbekämpfung ändere sich jedoch nur wenig: „Wir helfen ja viel – aber leider nicht wirklich effizient.“
Viele betroffene Eltern nehmen Hilfen gar nicht in Anspruch
Trotz aller staatlichen Hilfen gilt hierzulande etwa jedes siebte Kind als armutsgefährdet. Das sind mehr als zwei Millionen junge Menschen!
An Nahrung, Kleidung oder einem Dach über dem Kopf fehlt es ihnen zwar in aller Regel nicht. Als bedürftig gilt aber auch, wer von einer Lebensweise ausgeschlossen ist, auf die sich eine Gesellschaft als Minimum verständigt hat. Orientierungspunkt für diese „relative Armut“ ist das Median-Einkommen, das genau in der Mitte aller Einkommen liegt: Wer weniger als 60 Prozent davon hat, gilt als armutsgefährdet (weitere Infos zu Konzepten der Armutsmessung bei aktiv).
Immerhin: Auf Kinder in Deutschland trifft das aktuell etwas seltener zu als auf die Bevölkerung insgesamt. Ein Grund dafür sind die vielen Leistungen unseres Sozialstaats, von denen Familien besonders stark profitieren. Ohne diese Unterstützung wäre statt etwa jeden siebten Kindes fast jedes dritte von Armut bedroht (siehe Grafik).
„Die Sozialleistungen könnten aber deutlich besser und gerechter organisiert werden“, mahnt Ökonom Peichl. Der größte Kritikpunkt: das Nebeneinander von mehr als 100 (!) Einzelmaßnahmen für Familien. „Viele Berechtigte nehmen heute Hilfen gar nicht in Anspruch, weil es so bürokratisch ist, sie zu beantragen – oder weil die Menschen erst gar nichts von diesen Sozialleistungen wissen“, klagt der Experte. Zudem seien die Einzelmaßnahmen oft nicht aufeinander abgestimmt, weil zu viele Behörden und Ministerien involviert seien. Es würde daher helfen, das viele Geld in einer einzigen Sozialleistung zu bündeln.
Oft fehlen die Anreize, das eigene Einkommen zu erhöhen
Darüber hinaus kritisiert Peichl die geringen Anreize für Leistungsempfänger, das eigene Einkommen zu erhöhen. Ein Geringverdiener, der Wohngeld und Kinderzuschlag bezieht, hätte von jedem zusätzlich verdienten Euro am Ende oft nur wenige Cent! Denn ein Großteil würde auf die Sozialleistungen angerechnet. „Menschen sollten nach Möglichkeit immer aus eigener Kraft aus der Armut herauskommen können“, sagt Peichl. „Aber dafür setzen wir derzeit die falschen Anreize.“