München. Die Coronapandemie und die dafür nötigen Schutzmaßnahmen haben das Privat- und Berufsleben gravierend verändert. Das liegt auch daran, dass viele Betriebe ihrem Geschäft nicht wie gewohnt und trotz Lockerungen nur sehr eingeschränkt nachgehen können, wenn überhaupt: Werke stehen still, Lieferketten wurden unterbrochen und müssen neu gedacht werden, Hotels und Gaststätten bleiben vorläufig geschlossen. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), erläutert die Auswirkungen für die Wirtschaft.
Wie stellt sich die Lage im Freistaat derzeit da?
Die Krise trifft fast alle Branchen, besonders aber Gaststätten, Hotels, Reiseveranstalter und Handel. Für Hotels und Gaststätten, die Teil der Identität Bayerns und stark von den Beschränkungen betroffen sind, muss nachgesteuert werden. Aber auch die Metall- und Elektroindustrie, besonders die Automobil- und Zulieferindustrie, ist stark betroffen. Erschwerend wirkt hier, dass sie sich bereits vorher in der Rezession befand.
Wie wirkt sich das in den Unternehmen aus?
Um die Zeit bis zur Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit zu überbrücken, greifen sie vor allem auf Kurzarbeit zurück. Die Anmeldungen dafür gehen schon jetzt um ein Vielfaches über das hinaus, was wir in der letzten Wirtschaftskrise im Jahr 2009 erlebt haben.
Warum ist Kurzarbeit ein wichtiges Instrument?
Sie sichert den Betrieben die dringend benötigte Liquidität. Das reduziert die Gefahr von Insolvenzen. Und ihnen gelingt es dadurch, ihre Beschäftigten zu halten. So können sie ihre Tätigkeit nach der Krise schneller wieder hochfahren, was manche Betriebe nun beginnen. Auch der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hilft es, wenn die Produktion zügig starten kann. Andere Länder müssen hier mehr Zeit und Geld investieren, um Personal wieder neu einzustellen. Das wirkt sich negativ auf ihre Wirtschaftsleistung aus.
Bund, Staatsregierung und Sozialpartner haben sich schnell für Hilfen zusammengeschlossen. Was hat das bewirkt?
Das schnelle, entschlossene Handeln gab den Unternehmen von Anfang an Sicherheit. Durch die Bundes- und Staatsprogramme bekommen sie zusätzliche Liquidität, um die schwierige Zeit zu überbrücken. Vertrauen schafft die gelebte Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In der Metall- und Elektroindustrie haben sich die Tarifparteien schnell auf einen krisengerechten Tarifabschluss geeinigt mit dem Ziel, Betriebe und Beschäftigung zu sichern.
Den Lockdown einzuleiten, war eine Sache von Tagen. Viel schwieriger ist es, ihn wieder zu lockern. Was brauchen die Firmen für den Neustart?
Grundsätzlich ist es eine politische Entscheidung, wann und wie die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann. Die Gesundheit geht vor, diese Prämisse teilen wir als Wirtschaft. Dabei gilt: Eine Coronaprävention muss betriebsindividuell gestaltet werden, da völlig unterschiedliche betriebliche Gegebenheiten vorliegen. Neben dem Ziel des bestmöglichen Infektionsschutzes muss auch die arbeitsorganisatorische Umsetzbarkeit gegeben sein. Die Unternehmen achten bereits streng darauf.
Wie kann jeder Einzelne dazu beitragen, dass der Start gut gelingt?
Wir müssen weiter vorsichtig sein, um die Verbreitung mit dem Virus weiter einzudämmen. Je vorsichtiger wir agieren, desto schneller kann das Wirtschaftsleben wieder ordentlich in Gang kommen. Nützen könnte uns auch eine Corona-App, sofern sie anonymisiert ist und der Datenschutz gewahrt bleibt. Mit ihr ließen sich Infektionsketten besser beobachten. Ich kann nur appellieren, so eine App zu etablieren und zu nutzen.
Auch vor der Coronapandemie waren die Aussichten für Teile der Wirtschaft – besonders für die Metall- und Elektroindustrie – nicht rosig. Das hat sich verstärkt. Was erwarten Sie für die Zukunft?
Wir sind in der Rezession und werden dieses Jahr sicher ein negatives Wachstum haben. Das bedeutet ein Stück Wohlstandsverlust. Die Krise ist einzigartig und stärker als die Finanzmarktkrise 2009, weil alle Branchen gleichzeitig betroffen sind. Die Dauer ist nach wie vor nicht abschätzbar. Die Kurzarbeit verhindert eine Massenarbeitslosigkeit, dennoch werden die Arbeitslosenzahlen aber steigen. Beim Hochfahren der Wirtschaft kann es auch wieder Rückschläge geben. Dass wir mit einer gewissen Gefährdungslage leben, darauf müssen wir uns einstellen.