Hannover/Brüssel. Kürzlich in Hannover: Auf der weltweit wichtigsten Industriemesse werben US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel für ein umfassendes Handelsabkommen – und Zehntausende gehen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. TTIP, der große Deal zwischen der EU und den USA, bewegt die Menschen wie kaum ein anderes Wirtschaftsthema.
Befeuert wird das noch, als die Umweltschutzorganisation Greenpeace vertrauliche Dokumente über das „Geheimabkommen“ publik macht. „Dieser Vertrag geht jeden von uns an“, so Greenpeace, „jeder muss nachlesen können, was uns mit TTIP drohen würde.“ Der Wirbel wirkt – laut Infratest-Umfrage befürchten nun 70 Prozent der Bundesbürger, dass das Abkommen „eher Nachteile“ für Deutschland mit sich bringen würde.
Die Wirtschaft, vor allem unsere exportstarke Industrie, sieht das völlig anders. Sie setzt große Hoffnungen in freieren Warenverkehr mit unserem wichtigsten Partner. Der Wegfall von Zöllen und anderen Handelsbarrieren soll Kosten sparen und mehr Geschäft bringen, die gegenseitige Anerkennung gleichwertiger Standards könnte auch dem Mittelstand das Leben leichter machen – AKTIV hat das schon vielfach erläutert.
Was man jetzt vor allem wissen muss: Es wird nie ein geheimes Abkommen geben. TTIP, so es denn unterschriftsreif wird, muss zum Beispiel vom Europaparlament beschlossen werden.
Ein fertiger Vertragstext liegt aber noch längst nicht vor. Tatsächlich finden sich in den von Greenpeace veröffentlichten Dokumenten viele Standpunkte beider Seiten – aber, so die „Neue Zürcher Zeitung“ aus der neutralen Schweiz, „kaum echte Enthüllungen“. Die Öffentlichkeit werde durch diesen „Skandal, der keiner ist“ nur weiter verunsichert, wundert man sich bei den Eidgenossen – „weil Verhandlungspositionen mit Ergebnissen verwechselt werden“.
Was Europa anstrebt, worüber es verhandeln darf und worüber nicht: Darüber kann man sich auf einem EU-Portal schon lange schlaumachen (trade.ec.europa.eu). Was die Amis sich vorstellen, war im Detail bisher nicht so transparent, ist in den Grundzügen aber nicht überraschend.
Immerhin hat Greenpeace öffentlichkeitswirksam aufgezeigt, wie weit beide Parteien zum Beispiel in Sachen Investorenschutz oder beim öffentlichen Beschaffungswesen noch auseinanderliegen. Und wie beinhart die Amis verhandeln. So gesehen hat der scheinbare Skandal „jedenfalls nicht geschadet“, wie Agrarminister Christian Schmidt anmerkt. „Vielleicht wird den Amerikanern jetzt klar, dass sie sich endlich bewegen müssen, wenn wir das Abkommen zum Erfolg bringen wollen.“
Kein Nachgeben beim Verbraucherschutz
Wo rote Linien aus europäischer Sicht verlaufen, sagt Handelskommissarin Cecilia Malmström: „Kein EU-Handelsabkommen wird jemals das Niveau von Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit oder Umweltschutz absenken.“ Da werde man sich nicht etwa in der Mitte treffen: „In Bereichen, in denen wir zu weit auseinanderliegen, werden wir uns schlicht nicht einigen.“
Schlimmstenfalls werden bestimmte Themen also ausgeklammert. In anderen Bereichen kommen sich die beiden wichtigsten demokratischen Wirtschaftsmächte vielleicht im Juli näher: Dann will man sich in Brüssel treffen – zur 14. Runde der seit 2013 laufenden Verhandlungen.