München. Ein Satz wie eine Alarmsirene: „Es ist nicht zu leugnen, dass der Protektionismus Aufwind hat – was nicht ohne Folgen für die europäischen Unternehmen und ihre Arbeitnehmer bleibt.“ So bringt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ein Problem auf den Punkt, das auch Bayern direkt betrifft.

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„Schauen Sie sich die Millionen von Autos an, die sie in den USA verkaufen. Fürchterlich. Wir werden das stoppen.“

Donald Trump, Präsident der USA, über die deutsche Automobil-Industrie

„Für Großbritannien ist kein Abkommen besser als ein schlechtes. Für die EU würde das neue Handelsschranken zu einer der größten Volkswirtschaften auf der Welt bedeuten.“

Theresa May, Premierministerin Großbritanniens

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„Wir wollen keine Konfrontation. Aber wir dulden keine Missachtung unserer nationalen Interessen.“

Wladimir Putin, Präsident Russlands

Protektionismus: Wenn andere Staaten den freien Außenhandel etwa durch Zölle oder spezielle Produktvorschriften einschränken, wirkt sich das unmittelbar auf unsere stark exportorientierte Wirtschaft aus. Und da gibt es derzeit reichlich Grund zur Sorge. Was US-Präsident Donald Trump von offeneren Märkten hält, zeigte sich ja bald nach seinem Einzug ins Weiße Haus: Er stieg aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP aus. Das seit 2013 verhandelte Vertragswerk TTIP zwischen den USA und der EU liegt auf Eis. Und wie Trump über unsere exportstarken Firmen denkt, ließ er bei einem Spitzengespräch in Brüssel hören: „The Germans are bad, very bad.“

Keine schönen Aussichten also. Zumal die Unsicherheiten auch auf anderen Märkten zunehmen. So ist auf Großbritannien, eigentlich traditionsreicher Vorkämpfer des freien Welthandels, kein Verlass mehr. Wenn’s ganz schlecht läuft mit dem Brexit, also dem Austritt aus der EU, sind Handelsschranken zwischen dem Kontinent und der Insel in Sicht.

Weniger Geld für heimische Fabriken

Mit dem großen Nachbarn Russland wiederum liegt die EU wegen des anhaltenden Ukraine-Konflikts über Kreuz – auch wirtschaftlich. Kein anderer Staat hat zuletzt mehr Handels- und Investitionshürden errichtet. Das belegt ein Bericht der EU-Kommission, der „auf konkreten Beschwerden europäischer Unternehmen basiert“ – vom Agrarsektor bis zum Schiffbau.

Insgesamt ist demnach die Zahl der amtlichen Hemmnisse weltweit allein 2016 um 10 Prozent gestiegen. „Russland und Indien haben die meisten neuen protektionistischen Maßnahmen eingeführt“, heißt es, „gefolgt von der Schweiz, China, Algerien und Ägypten.“

Die Wirtschaft hierzulande warnt denn auch: „Protektionistische Tendenzen werden den Produktionsstandort Bayern schwächen.“ Die deutsche Politik sollte den Freihandel stärken – „und populistischen Forderungen nach einer Begrenzung entgegentreten“. So steht es in einer neuen Studie über die „Verlagerung von Wertschöpfung“, erstellt im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) von der Kölner Beratungsfirma IW Consult.

Hintergrund: Wenn andere Staaten sich stärker abschotten, der Export dorthin also schwieriger wird, müssen unsere Firmen umso mehr dort produzieren! „Das ist eine rationale Antwort, um auf diesen Märkten im Geschäft zu bleiben“, urteilt Professor Gabriel Felbermayr vom Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo (siehe Interview links). Für Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektroindustrie dürfte die Fertigung jenseits der Grenzen daher noch stärker an Bedeutung gewinnen als ohnehin schon.

Die Studie belegt da einen anhaltenden Trend: „Die bayerischen Produktionskapazitäten im Ausland wachsen auch weiterhin schneller als die im Inland.“ Insbesondere Firmen, die bereits Werke in anderen Ländern haben, „werden in Zukunft einen noch höheren Anteil ihres Investitionsbudgets an Auslandsstandorten platzieren“. Für heimische Fabriken steht entsprechend weniger Geld zur Verfügung, schließlich kann man jeden Euro nur einmal ausgeben.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen aktuell – knapp vor China – die viel kostengünstigeren Staaten in Mittel- und Osteuropa. Besonders ausgeprägt ist dieser regionale Fokus jetzt bei den Firmen mit weniger als 250 Beschäftigten. Größere Unternehmen haben ihnen den Gang nach Osten vorgemacht: 36 Prozent haben nach eigenen Angaben seit 2010 ihre Produktionskapazität in Mittel- und Osteuropa ausgeweitet.

Einfache Tätigkeiten kommen „unter Verlagerungsdruck“

Zwar haben solche und andere Auslandsinvestitionen laut Studie „derzeit kaum negative Auswirkungen auf die Inlandsproduktion“. Dazu muss man aber wissen: Die Firmen, die im Ausland produzieren, bauen seltener zusätzliche Anlagen und Arbeitsplätze im Inland auf. „Stattdessen liegt ihr Schwerpunkt auf Erhalt oder Modernisierung der bestehenden Kapazitäten – damit geht ein Teil der Dynamik ins Ausland statt nach Bayern.“ Außerdem verlieren sogenannte einfache Tätigkeiten in den Werken am Hochlohnstandort Bayern weiter an Bedeutung – solche Jobs kommen „unter Verlagerungsdruck“.

Ein zweiter interessanter Trend: Im Ausland eingekaufte (oder dort in eigenen Werken hergestellte) Teile werden für die heimische Produktion immer wichtiger. Nach einer Umfrage planen insgesamt rund 40 Prozent der Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektroindustrie, stärker im Ausland einzukaufen. Jede zehnte Firma betritt dabei sogar Neuland.

Was Fachkräfte fürs Erste beruhigen dürfte, ist das Fazit der Studie: „Die Internationalisierung der Wertschöpfungsketten wird sich auch in Zukunft fortsetzen, ohne dass eine groß angelegte Verlagerung der Produktion ins Ausland zu erwarten ist.“ Damit aber diese „hohe Standorttreue“ erhalten bleibt, sollte die Politik für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen. Insbesondere beim „größten Standortnachteil“, den Arbeitskosten, dürfe nicht noch draufgesattelt werden.

Zuletzt hat Deutschland insgesamt in Sachen Wettbewerbsfähigkeit erneut an Boden verloren. Das zeigt zum Beispiel auch das viel beachtete „World Competitiveness Ranking“ der Schweizer Business School IMD. Rund 200 Indikatoren werden dafür ausgewertet sowie eine Befragung von rund 6.300 Managern aus aller Welt. 2014 lag die Bundesrepublik in diesem Ranking auf dem sechsten Platz, seitdem ging’s immer weiter abwärts: 2017 liegt Deutschland auf Platz 13 von 63 untersuchten Industrie- und Schwellenländern.

Starke deutsche Wirtschaft hilft auch den anderen

Den Standort attraktiver machen – bei dieser Daueraufgabe hat die nächste Bundesregierung also viel zu tun. Höhere Investitionen des Staats wie der Unternehmen würden Chancen für neues Wachstum bringen.

Übrigens auch bei unseren Nachbarn. „Die Nachfrage aus Deutschland sorgt für 4,8 Millionen Jobs in den anderen EU-Staaten“, argumentiert die vbw. Für den Großteil, 3,4 Millionen, sei allein „die Nachfrage der deutschen Industrie nach Vorleistungs- und Investitionsgütern verantwortlich“.

Der Wirbel um ausländische Kritik am hohen deutschen Überschuss im Außenhandel sei deswegen eine „Scheindiskussion“, urteilt die vbw: Eine schwächere deutsche Wirtschaft „würde kein anderes Land stärker machen und damit niemandem nützen.“

Robuste Industrie, gut bezahlte Arbeitsplätze: Bayern geht es gut. Aber Achtung: Die Schwellenländer holen auf, bei Bildung und Infrastruktur. Wie die bayerischen Betriebe darauf reagieren, lesen Sie in diesem Themen-Special. Hier geht’s zur Einführung.

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