Hannover. Ein traditionsreiches Event: Vom Arbeitgeberforum, das diesmal nicht mit zahlreichen Gästen in Hannover, sondern digital stattfand, ging auch in diesem Jahr wieder eine starke politische Signalwirkung aus. Tenor: Die wirtschaftliche Lage ist ernst wie nie zuvor. aktiv sprach mit Dr. Volker Schmidt darüber, dem Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Niedersachsenmetall.

Der Lockdown hat die niedersächsische Schlüsselindustrie hart getroffen. Kehrt mit den Lockerungen die Normalisierung ein?

Die wirtschaftliche Situation insgesamt ist ohne Beispiel. Niemand von uns hat Derartiges bisher erlebt. Sie bedeutet in gewisser Weise eine Zäsur. Wir stehen in zahlreichen Branchen vor geradezu weggeschmolzenen Auftragseingängen, vor nie gekannten Umsatzeinbrüchen und vor Beschäftigungsanpassungen, die massiv sind. Und niemand kann sagen, wann die Talsohle durchschritten ist. Um es mit einer Badewanne zu vergleichen: Wie breit ist die Wanne, wann kommt der andere Beckenrand, an dem es wieder aufwärtsgeht, und wie hoch ist er – niemand weiß es.

Was ist das größte Problem?

Mein Eindruck ist, viele Bürger haben offenbar keine Vorstellung davon, was diese Krise ökonomisch für Konsequenzen haben kann. Viele meinen, wir würden zwar ein bisschen durchgeschüttelt, aber jetzt wird wieder zur Tagesordnung übergegangen. Mit munteren Verteilungsdebatten, mit noch stärkeren Umweltauflagen für unsere Unternehmen, mit kräftig steigenden Renten und Sozialleistungen und noch mehr Bürokratie.

Also Deutschland, das Paradies, wo Milch und Honig fließen?

Das sind Wunschträume. Tatsächlich haben wir es in der Industrie mit dem Zusammenbruch vieler international bewährter Lieferketten zu tun. Ich denke auch an die immense Hypothek, die binnen weniger Wochen durch die Explosion der Staatsverschuldung für künftige Staatshaushalte aufgebaut wurde. Ich denke auch an die Zusatzlasten der Sozialkassen, die man künftig nur über steigende Beiträge wird finanzieren können. Die Rechnung dafür wird uns nicht in diesem Jahr präsentiert, aber wir werden sie spätestens 2022 zu tragen haben.

Worin sehen Sie das größte Problem?

Mein Eindruck ist, dass vielen in unserer Gesellschaft und auch in den Medien ein Grundverständnis von ökonomischen Zusammenhängen fehlt. Das mag damit zu tun haben, dass es die letzten zehn Jahre fast durchweg aufwärtsging und alle Verteilungskonflikte aus dem Zuwachs gelöst werden konnten. Sich daran zu gewöhnen, liegt vielleicht in der menschlichen Natur, aber es ist unrealistisch. Ein Land, dessen Bürger sich in großen Teilen der Quellen von Wohlstand, Arbeit und Einkommen nicht mehr bewusst sind, geht einen steinigen Weg.

Welche Lösungsansätze sehen Sie?

Wir müssen wirtschaftlich alles daransetzen, mittelfristig wieder das Niveau zu erreichen, das wir ohne Krise gehabt hätten. Dafür müssen die Weichen gestellt werden durch eine nachhaltige kräftige Stärkung unserer Unternehmenslandschaft.

Trifft das aufs Konjunkturpaket zu?

Ja, aber nur in Teilen, nicht in Gänze. Es gibt darin Maßnahmen wie die längst überfällige Wiedereinführung der degressiven Abschreibung und die Stärkung der Unternehmen bei der Forschungsförderung. Dafür haben wir uns als Verband seit Jahren engagiert. Dass aber das Herzstück des Pakets, die sechsmonatige Senkung der Mehrwertsteuersätze, ein Konsumfeuerwerk auslösen wird, daran sollte man nicht glauben. Dafür gibt es auch in der Wirtschaftsgeschichte nicht ein einziges Beispiel.

Was wäre aus Ihrer Sicht besser gewesen?

Mit den gleichen Mitteln von 130 Milliarden Euro wäre eine nachhaltige Steuerreform möglich gewesen mit vollständiger Abschaffung des Solidaritätszuschlages, der Senkung der Körperschaftsteuersätze, erweiterten Verlustrückträgen, der vollständigen Abschaffung der EEG-Umlage – um nur einige Beispiele zu nennen. Das wäre das richtige Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland gewesen. Das hätte uns dauerhaft besser gedient.

Arbeitgeberforum 2020 digital

Fünf Stunden Livestream, sieben Foren mehr als 1.000 Zuschauer

  • Erstmals wurde das Arbeitgeberforum digital ausgestrahlt. Insgesamt verfolgten über 1.000 Zuschauer den Livestream. Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall und der AGV Hannover, begrüßte vor fünf laufenden Kameras im AGV-Studio die Zuschauer.

Redet Klartext: Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall und ADK, warnt vor „munteren Umverteilungsdebatten“.

  • Gründer und Bestseller-Autor Felix Plötz (Foto) erklärte in seinem Impulsvortrag, warum wir in Sachen Führungskultur und Leadership jetzt handeln müssen, um vom Wandel zu profitieren: Danach starteten sieben Foren. Corona führe zu ganz neuen Gesprächsthemen, auch in der Unternehmenskultur, stellte Christian Bredlow von Digital Mindset fest. Er rät dazu, sich zu fragen: Was lief gut in den letzten drei Monaten? Und sind wir digital fit?
  • Im Talk mit Plötz, Bredlow sowie Jens Harde (Howmet Fastening Systems Hildesheim), waren sich alle Beteiligten einig: Als Führungskraft brauche man Selbstvertrauen. Wichtig sei Offenheit für neue Ideen – gerade auch in der Digitalisierung.
  • Ein Forum widmete sich der Krisenkommunikation. Matthias Biebl (rlvnt GmbH) riet dazu, in der „neuen“ Realität als Unternehmen kommunikativ mitzugehen. Dabei helfe ein Krisenstab. Dieser gebe Mitarbeitern Freiräume sowie Selbstständigkeit. Das schaffe Sicherheit auch in wirtschaftlichen Krisen.