Jeder Handgriff muss sitzen. Die Zacken in die vorgesehenen Öffnungen reinstecken, einmal ziehen – fertig. Schon steht die Röhre und umhüllt das frisch gesetzte Bäumchen. Schnell muss es gehen, einfach und auch mit Arbeitshandschuhen. „Diejenigen, die es umsetzen, wollen nicht fummeln“, weiß René Schunck, Vertriebsleiter des Wuppertaler Chemieunternehmens Sachsenröder. Schunck war in den vergangenen Jahren viel mit Förstern und Baumschulbetreibern unterwegs, um zu erfahren, was genau die Praktiker brauchen.

Material verfällt restlos binnen weniger Jahre

Seit letztem Herbst produziert der Mittelständler nun Wuchshüllen für die Aufforstung in Serie. Der Clou: Sie bestehen aus Vulkanfiber, einem Biokunststoff auf rein pflanzlicher Basis. Nachdem die Hüllen die Setzlinge ungefähr fünf Jahre lang geschützt haben, lösen Feuchtigkeit und Mikroorganismen sie allmählich auf – restlos. Es bleibt kein Plastik mehr in der Natur zurück.

Vulkanfiber ist ein Material, das es seit 1881 gibt. Das traditionsreiche Familienunternehmen Sachsenröder ist einer der wenigen Produzenten weltweit. Es stellt Vulkanfiber aus Zellstoff von zertifiziertem Holz sowie aus den feinen Samenhärchen der Baumwoll-Blüte her. Ein Bad mit Schwefelsäure sowie Druck vernetzen die Fasern untereinander sowie mit den benachbarten Papierbahnen derart, dass ein fester und widerstandsfähiger Schichtstoff entsteht. Anschließend wird die Säure vollständig herausgewaschen und wiederverwendet.

Zahlreiche Anwendungen in der Industrie

Von den Vorzügen des plastikfreien Kunststoffs kann Schunck unendlich viel erzählen. Es gibt zahlreiche Anwendungen in der Industrie. Die Wuchshüllen sind das erste Outdoor-Produkt der Wuppertaler. Die Idee hatte Firmenchef Dirk Sachsenröder. Im Urlaub hatte er gesehen, wie Winzer ihre Rebstöcke mit alten Tetrapacks vor Hasen und Rasenmähern schützten. „Da haben wir etwas Besseres“, dachte er. Die Firma hat jahrelang experimentiert und zusammen mit Hochschulen und Forstbetrieben die Hüllen im Wald getestet.

„Für uns war das Neuland. Wir haben viel recherchiert, um Feedback gebeten und waren auf allen Veranstaltungen, die mit Forstwirtschaft zu tun haben“, erzählt Schunck. Bauern, Förster und Gärtner brauchen zum Beispiel die Hüllen jeweils in verschiedenen Größen. Die kleinsten Röhren sind für den Weinbau. Die größten sind mannshoch und schützen junge Bäume davor, vom Rotwild angeknabbert zu werden.

Stürme, Dürre, Waldbrände und Borkenkäfer setzen den Wäldern zu. Baumarten, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen, werden derzeit überall in Deutschland gepflanzt. Millionen Kunststoffröhren werden jedes Jahr eingesetzt, um die Bäumchen vor Frost und Verbiss zu schützen. Nach ein paar Jahren platzen sie und bleiben liegen. Die Reste müssen aufwendig eingesammelt werden oder sie zerfallen irgendwann zu Mikroplastik. „Das wollen weder die Forstämter noch die privaten Waldbesitzer mehr sehen“, sagt Vertriebsleiter Schunck.

Weltweit Interesse an den Schutzhüllen

Nachhaltigkeit und ein „plastikfreier Wald“ sind das Gebot der Stunde. Deshalb sei das Interesse an den Schutzhüllen aus Vulkanfiber groß, obwohl sie mehr kosten als die herkömmlichen aus Plastik.

Der Vertrieb startete in Deutschland, aber Sachsenröder holte auch seine 13 Auslandsvertretungen an Bord. „Überall auf der Welt wird aufgeforstet, zum Teil fließen da viele Fördergelder aus Europa rein“, weiß Schunck. Das Labor testet Vulkanfiber unter verschiedenen Klimabedingungen, damit die Hülle auch in Asien oder Amerika funktioniert. „Jeder Baum zählt!“

Das Internationale an seiner Arbeit ist etwas, das er sehr schätzt. Vor 17 Jahren hat Schunck seine Ausbildung als Industriekaufmann bei Sachsenröder gemacht. Heute ist der 39-Jährige für Vertrieb und strategische Planung zuständig. Das heißt, er macht sich Gedanken darüber, „wie wir unser Material verkauft bekommen, welche künftigen Märkte wir auftun können, wie wir unsere Kunden pflegen und die ausländischen Vertretungen motivieren können“.

Der Vertriebsleiter ist oft auf Geschäftsreisen, hat aber zugleich eine enge Verbindung zu seiner Stadt und engagiert sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik. Seit seinem 16.  Lebensjahr ist er politisch aktiv, damals im Stadtjugendrat von Wuppertal. 2020 wurde er in den Rat der Stadt Wuppertal gewählt. Seit 2023 führt er seine Fraktion als Co-Vorsitzender und ist zudem Aufsichtsratsmitglied in der städtischen WSW Mobil GmbH und anderen Kommunalunternehmen.

Freie Zeit genießt Schunck gern im Wald

„Wenn ich hier aus dem Büro weggehe, bin ich meist im Rathaus.“ Er sei jemand, der nach vorn strebt, um seine Ziele zu erreichen. In der Kommunalpolitik sieht er die Chance, seine Vorstellungen einzubringen und die Welt ein bisschen besser zu machen.

Ruhe findet er bei den täglichen Runden mit dem Hund durch den Wald. „Sich einfach hinstellen und hinhören, man nimmt auch viel mehr Gerüche wahr“, schwärmt er. „Man sieht aber auch, was der Klimawandel inzwischen angerichtet hat, wie viel abgeholzt werden muss …“ Und wie viel aufgeforstet: demnächst hoffentlich plastikfrei.

Das Unternehmen

Das Familienunternehmen Sachsenröder mit aktuell 62 Mitarbeitern produziert seit dem 19. Jahrhundert Vulkanfiber in Wuppertal. Früher war der pflanzenbasierte Kunststoff als Material für Koffer oder Lampenschirme weit verbreitet, Mitte des 20. Jahrhunderts setzten sich billigere Kunststoffe aus Erdöl in der Masse durch.

Heute dient die Vulkanfiber als Trägerschicht für Hochleistungs-Schleifscheiben, Echtholzfurniere und Röntgenplatten. Auch andere Branchen entdecken gerade den nachhaltigen und sehr robusten Kunststoff.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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