Während sich die Weltkonjunktur erholt, kommt die deutsche Wirtschaft nicht in die Gänge. Die Weckrufe von Unternehmen und Verbänden an die Politik werden immer lauter. Wie ernst ist die Lage der Metall- und Elektro-Industrie, kurz M+E? Darüber sprach aktiv mit Professor Michael Grömling. Er ist Experte für Makroökonomie und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Herr Grömling, der Gruß des Kaufmanns ist die Klage – so spottete kürzlich der Bundeskanzler. Ist das Jammern der Industrie also übertrieben, oder sieht es wirklich schlecht aus?
Unsere letzte Konjunkturumfrage zeigt keine merkliche Verbesserung im Vergleich zum Herbst 2023. Und auch die Aussichten für 2024 insgesamt bleiben mau. Die Wirtschaft ist nach wie vor in einer Schockstarre gefangen. Die wieder anlaufende Weltkonjunktur ist ein Hoffnungsschimmer. Das wird dann zeitverzögert auch das deutsche Exportgeschäft neu beleben. Aber solange das nicht greift, solange nicht mehr Aufträge aus dem Ausland reinkommen, bleibt zumindest diese Flanke unserer Wirtschaft noch fragil.
Ist denn der gesamte Industriezweig M+E davon betroffen?
Natürlich nicht zu 100 Prozent. Wie bei allen wirtschaftlichen Umbrüchen gibt es auch jetzt Unternehmen, die aufgrund ihrer Produkte besser über die Runden kommen. Das war in der Coronazeit die Elektro-Industrie, im Gegensatz zum Maschinenbau. Der leidet darunter, dass Pandemie und Krieg die weltweite Investitionstätigkeit sehr stark beeinträchtigt haben. Insgesamt zeigt unsere Umfrage: Die meisten Unternehmen gehen für 2024 von einer geringeren Produktion aus.
Speziell dem Maschinenbau wirft die IG Metall Baden-Württemberg vor, ideenlos und investitionsscheu zu sein. Ist die Misere auch selbst verschuldet?
Wenn unsere deutschen Unternehmen ideenlos wären, dann wären sie doch schon längst vom Weltmarkt verschwunden! Wir sind mit sehr vielen erfolgreichen Produkten unterwegs. Wir leiden allerdings darunter, dass kriegsbedingt und durch viele andere internationale Spannungen die globale Nachfrage derzeit geringer ist. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern allen Länder, die Investitionsgüter herstellen. Generell sind die Unternehmen deshalb nun mal eher vorsichtig, bevor sie sich finanziell stark engagieren.
Wenn investiert wird, vor allem auch in neue Werke, dann oft nicht hier, sondern im Ausland. Müssen wir befürchten, dass immer mehr Betriebe abwandern?
Dass wir grenzüberschreitend produzieren, ist einerseits Ausdruck unserer hohen Weltoffenheit. Für die Unternehmen ist es aber auch schlicht eine Überlebensstrategie. Das Abwanderungsrisiko ist also real – und es ist auch nicht neu. Es gab schon in der Vergangenheit leider immer wieder Phasen, wo wir aufgrund von massiven Standortnachteilen hierzulande Unternehmen oder Unternehmensteile verloren haben.
Um welche Nachteile geht es da genau?
Die Herausforderungen am Standort Deutschland sind derzeit so groß, dass insbesondere energieintensive Industrien neue Standorte ausloten. Dabei geht es nicht nur um die reinen Energiekosten, sondern auch um die Energieversorgung überhaupt, um die Energiesicherheit. Hier geht Deutschland einen Sonderweg mit Atomausstieg, geplantem Kohleausstieg und einseitigem Fokus auf Erneuerbare. Dazu kommen noch weitere Kostenfaktoren: angefangen bei den Steuern über die Regulierungskosten bis hin zu den Arbeitskosten und vielem mehr.
Wie Sie sagen, sind diese Standortschwächen nicht neu. Warum werden sie gerade jetzt so ein großes Thema?
Tatsächlich sind diese erheblichen Handicaps seit Langem bekannt, aber sie wirken sich zurzeit eben besonders stark aus. Denn wir befinden uns seit Jahren in einer globalen Krise. Vor diesem Hintergrund werden solche Nachteile zu einer zusätzlichen schweren Last. Es gibt eine Vielzahl von anderen Standorten in fortgeschrittenen Volkswirtschaften, die für Unternehmen schlichtweg bessere Rahmenbedingungen bieten.
Heißt das, die befürchtete Deindustrialisierung Deutschlands findet bereits statt?
Um sicher zu wissen, ob es da einen anhaltenden Trend gibt, muss man noch eine gewisse Zeit warten, bis sich das eindeutig in den Investitions- und Beschäftigungsstatistiken niederschlägt. Jetzt ist es dafür noch etwas zu früh. Aber: Wenn die Zahlen dann diesen Trend tatsächlich klar belegen sollten, dann ist es eigentlich schon zu spät.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
Alle Beiträge der Autorin