München/Ingolstadt. Elektronische Assistenzsysteme nehmen dem Autofahrer immer mehr die Arbeit ab – und werden wohl am Ende ganz das Steuer übernehmen: „Automatisiertes Fahren“ ist in der Branche derzeit das große Thema, Hersteller wie BMW und Audi investieren Milliarden. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts werden Fahrzeuge die Insassen völlig autonom ans Ziel bringen, erwartet der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft, der systematisch die für die Wertschöpfung im Freistaat wegweisenden Technologien analysiert.
Damit nicht etwa große IT-Unternehmen aus den USA in diesem neuen digitalen Geschäft den Markt dominieren und die Standards setzen, sehen sich auch Staat und Verbände in Bayern durch dieses Thema herausgefordert. „Wir wollen, dass die Entwicklung und Umsetzung bei uns als technologieführendem Automobilstandort stattfindet“, sagte Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), kürzlich auf einem gemeinsamen Kongress des Verbands und des bayerischen Justizministeriums.
Das größte Unfallrisiko ist bisher der Mensch
Grundvoraussetzung dafür, dass unser Land bei solchen Zukunftstechnologien eine Vorreiterrolle einnehmen kann, ist nach Brossardts Worten das Anpassen nationaler und internationaler Vorschriften. „Innovationspotenziale dürfen nicht durch überholte rechtliche Rahmenbedingungen erstickt werden.“
So verhindert derzeit noch das „Wiener Übereinkommen im Straßenverkehr“ das vollautomatisierte Fahren: Es verlangt, dass der Fahrer jederzeit die Kontrolle über sein Fahrzeug ausüben muss. Auch bei der Fahrzeugzulassung, in der Straßenverkehrsordnung und in der Fahrschüler-Ausbildung muss man umdenken, betont die vbw.
Und die Zeit drängt. Eine wichtige Vorstufe zum vollständig autonomen Fahren, das sogenannte pilotierte oder hochautomatisierte Fahren, befindet sich schon im Übergang zur Serienproduktion. So heißt es bei BMW: „Ab 2020 sollen die technischen Voraussetzungen für einen Autobahn-Piloten gelegt sein, um hochautomatisiert mit Serienfahrzeugen fahren zu können.“ Und bereits 2017 will Audi mit der nächsten Generation des A 8 immerhin erstmals ein Assistenzsystem anbieten, das auf Autobahnen im Stop-and-go-Verkehr bis 60 Stundenkilometer eigenständig fährt.
Frank Försterling, Leiter Vorfeldentwicklung beim Autozulieferer Continental in Regensburg, zeigte sich auf dem vbw-Kongress zuversichtlich, dass die neuen Systeme zunehmend Akzeptanz bei den Kunden gewinnen werden. Vollautomatisierung sei ein schleichender Prozess, Fahrer gewöhnten sich nach und nach an die Technik.
Martin Wehner, Leiter Private Kfz-Versicherung bei Allianz in München, stellte klar: Die Versicherung muss natürlich auch künftig alle Schäden übernehmen, egal ob der Fahrer schuld ist oder ein technisches System. Sinnvoll sei eine Art Unfalldatenschreiber im Auto.
Der neue Technologiesprung führt auch zu schwierigen ethischen Diskussionen: Wo in kritischen Verkehrssituationen bisher intuitiv der Mensch entscheidet, ist es irgendwann ein vom Hersteller programmierter Automatismus. Wohin etwa lenkt ein Auto, wenn plötzlich eine Person auf die Fahrbahn rennt und beim Ausweichen Dritte zu Schaden kommen könnten?
Günstig für Spritverbrauch und Verkehrsfluss
Dabei gibt es keinen Grund, der Technik grundsätzlich zu misstrauen. Eher ist sie eine Chance, die Abhängigkeit vom aktuell größten Risiko auf den Straßen zu minimieren: dem Menschen. „Derzeit sind 90 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliches Fehlverhalten verursacht, nur 10 Prozent durch technische Fehler“, heißt es bei der Allianz.
Autonomes Fahren wird Straßen nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer machen, schätzen Experten. Und auch Treibstoffverbrauch und Verkehrsfluss günstig beeinflussen. Damit Hersteller neue Techniken erproben können, wird die A9 zwischen München und Nürnberg derzeit zu einer digitalen Teststrecke ausgebaut.