Frankfurt/Hamburg/Wien. Wie klingt Kinderlachen? Oder Vogelgezwitscher, Musik, das Hupen eines Autos? Für Enno Park war all das nur noch verblassende Erinnerung. Als Folge einer Krankheit wurde Park als Jugendlicher taub – und blieb es fast 20 Jahre lang. Bis er sich ein künstliches Gehör implantieren ließ. Ein Stück digitaler Technik, eingepflanzt direkt in seinen Schädel.
Jetzt hat er nicht nur seinen Hörsinn wieder. Weil er zwischen verschiedenen Akustikprogrammen wählen kann, hört Park sogar besser als seine Mitmenschen. „Die Technik ist jetzt ein Teil von mir, und sie verleiht mir Ansätze von Superkräften“, sagt er. Und während man noch stutzt und sich fragt, ob das jetzt ein freakiger Scherz war, fügt er an: „Ich bin ein Cyborg!“ Eine getunte Mensch-Maschine. Willkommen in der Zukunft!
Blinde können sehen, Lahme wieder gehen
Mithilfe von Technik über sich selbst hinauszuwachsen – ein uralter Menschheitstraum, da muss man ja nur mal nach „Ikarus“ googeln. Doch egal welchen Technologiesprung man auch nimmt, vom Rad bis zum Raumschiff – der Mensch, die Krone der Schöpfung, blieb bislang unangetastet. Doch genau das ändert sich gerade!
„Mensch und Maschine sind dabei, miteinander zu verschmelzen“, sagt etwa der US-Biophysiker Hugh Herr vom renommierten Massachusetts Institute of Technology. Vision der Forscher: ein Mischwesen aus Fleisch und Blut auf der einen, digitaler Hightech auf der anderen Seite. Kurz: Cyborgs.
Die Verheißungen klingen biblisch: Blinde, die dank Retina-Implantaten wieder sehen, Lahme, die mit intelligenten Prothesen wieder gehen können. Dazu künstliche Organe oder Mikrochips, die Körperfunktionen überwachen. Und warum, so fragt sich ein Teil der Forscherelite, soll man es eigentlich beim Beheben von Handicaps belassen, nur das Original kopieren, wenn man es auch verbessern kann? Und sich sogar die Power des Gehirns mit Technik vielleicht steigern ließe?
Ethikern gefriert da das Blut. Enno Park lächelt nur. An diesem verregneten Herbstabend steht er im holzgetäfelten Vortragssaal der Frankfurter Sparkasse und erzählt, wie er selbst zum Cyborg wurde. Als Spätfolge einer Maserninfektion verlor er im Alter von zehn langsam das Gehör, sechs Jahre später war seine Welt völlig verstummt.
Anfangs klang das Kunstgehör wir Techno ohne Beat
Jetzt trägt er ein sogenanntes Cochlea-Implantat. Außen am Kopf eine Art Sender mit Mikro und Sprachprozessor, der empfangene Geräusche in elektrische Impulse umwandelt und an eine Einheit im Schädelinneren schickt, die dort den noch intakten Hörnerv stimuliert. Was er nach der Operation hörte, „klang anfangs wie eine sphärische Mischung aus Trance und Techno, nur ohne Beat“, sagt er. Erst allmählich traten aus dem akustischen Nebel Strukturen hervor. Das Gehirn lernte wieder, die Geräusche richtig zu interpretieren, „ich hörte in der Folge immer detaillierter, ein unglaubliches Gefühl“.
Und eins, das Park bei Weitem nicht als Einziger genießt. Schätzungen zufolge tragen weltweit bereits 300.000 Patienten ein solches Cochlea-Implantat, davon rund ein Zehntel in Deutschland!
Firmenausweis einfach unter die Haut gepflanzt
Cyborg Enno Park würde sein Implantat übrigens am liebsten hacken: „Warum nicht auch Infra- oder Ultraschall hören?“ Technisch wäre das möglich. Aber daran, dass ihm die Krankenkasse im Misserfolgsfall ein zweites der gut 30.000 Euro teuren Implantate spendieren würde, hat er doch Zweifel. Dafür hat er sich, als Trost quasi, einen Magneten in den Finger einpflanzen lassen, mit dem er elektromagnetische Felder erspüren kann. Und einen Mikrochip, mit dem er sein Handy entsperren kann, trägt er auch noch im Körper.
5.000 Deutsche haben sich einen RFID-Chip in die Hand implantieren lassen
Das mag man jetzt schräg finden. Doch allein in Deutschland rennen mittlerweile 5.000 Cyborgs mit einem RFID-Chip in der Hand durch die Gegend. Die Hälfte davon hat nach eigener Aussage Patrick Kramer eingesetzt, Inhaber der auf sogenanntes Bio-Hacking spezialisierten Firma Digiwell in Hamburg. „Die Technik entstresst für ihre Träger den Alltag, man kann Türen aufschließen oder Passwörter speichern“, sagt Kramer. Seine Kunden stammten heute aus allen Teilen der Gesellschaft. „Das ist kein Nerd-Ding mehr, der eine will seine medizinischen Daten immer dabeihaben, Anwälte wollen ihre Aktenschränke berührungslos aufschließen.“
Unlängst sorgte eine Nachricht aus Schweden für Aufsehen. Ein Tourismus-Konzern hatte seine Mitarbeiter dort ermuntert, sich den Firmenausweis unter die Haut chippen zu lassen. Für Kramer nicht sonderlich spektakulär: „Die Technik ist nichts Wildes mehr.“
Deren Potenziale aber sieht er noch lange nicht ausgereizt. Drei Dinge habe der moderne Mensch doch immer dabei, sagt er: Schlüssel, Portemonnaie, Handy. „Den Schlüssel haben wir mit den Chips schon ausgemerzt, bald wird man mit den Implantaten auch bezahlen können.“ Und das Handy, das sei als Nächstes dran.
Das mag noch Zukunftsmusik sein. Aber die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten durch Technik – das ist es, was die weltweite Cyborg-Szene so fasziniert. Als deren Ikone gilt Neil Harbisson. Der farbenblinde Brite trägt einen optischen Sensor an einem Bügel vor der Stirn. Die Apparatur sieht aus wie ein spaciges Cyber-Punk-Accessoire. Aber sie erweitert seine Sinne: Der Sensor wandelt Farben in Töne um, die Harbisson direkt über Knochenschall empfängt. Jetzt kann er sogar UV-Licht wahrnehmen.
Tuning am menschlichen Gehirn
Kaum weniger prominent ist Dan Melville, ebenfalls Brite. Er trägt eine bionische Unterarmprothese, die Muskelsignale aus dem Oberarm abgreift und ihrem Träger so Greifbewegungen ermöglicht. Als weltweit führend auf dem Gebiet solcher Prothetik gilt übrigens ein deutsches Unternehmen: Otto Bock aus Duderstadt bei Göttingen. Vollgestopft mit Elektronik, steuern die Prothesen der Firma schon heute in Millisekunden zum Beispiel die Position eines Kunstbeins beim Gehen oder sogar Rennen. Mit solchen Produkten befinde man sich „direkt an der Schnittmenge zwischen künstlicher Intelligenz, Mensch-Maschine-Schnittstelle, Cyborgs und Robotik“, sagt Professor Hans Georg Näder, Mitglied der Chefetage.
Und die Liste der Segnungen durch fest mit dem Körper verbundene Technik lässt sich fortführen. Sensoren checken schon jetzt den Blutzuckerspiegel von Diabetikern. Der Blutdruck von Herzpatienten wird mit Implantaten direkt in der Lungenarterie gemessen. Schluckbare Kamerakapseln liefern Bilder aus dem Verdauungstrakt. Einige der Steuergeräte fühlen mit ihren Elektroden sogar schon bis ins Gehirn vor, um epileptische Anfälle oder das Zittern von Parkinson-Kranken zu lindern.
Mit solchen Brain-Computer-Interfaces, per Kabel an Rechner übertragenen Nervensignalen, beschäftigt sich auch der Neuroinformatiker Professor Moritz Grosse-Wentrup von der Uni Wien. „Es ist denkbar, dass man in 20 Jahren durch einen Schlaganfall gekappte Verbindungen im Gehirn mit Chips überbrücken kann“, so der Top-Forscher im aktiv-Gespräch.
Kommt bald das ewige Leben in der Cloud?
Auch das Tuning des menschlichen Gehirns mittels Chips hält er für möglich. „Aber die Evolution hatte sehr viel Zeit dafür, uns mit hervorragenden Sinnen und Fähigkeiten auszustatten.“ Die jetzt mit Technik nachbauen und übertreffen zu wollen, sei „doch eher noch Science-Fiction“.
Andere äußern sich da mutiger. Ray Kurzweil zum Beispiel, Futurist und Director of Engineering bei Google. Er glaubt ernsthaft ans ewige Leben durch Technik, „spätenstens ab 2045“. Bevor man sein irdisches Leben aushauche, könne man „einfach ein Back-up von sich selbst speichern, in der Cloud“.