Marburg/Köln. Eine Seuche geht um die Welt, ein neuartiges Coronavirus. Und die Medizin kann den daran Erkrankten bisher kaum helfen. Die Patienten werden zu Hause isoliert, in schwerwiegenden Fällen im Krankenhaus betreut. Denn noch haben die Ärzte nicht viel in der Hand gegen das neuartige Virus. Doch es gibt Chancen, dass sich das rasch ändert. 

In nicht gekanntem Tempo treiben Wissenschaftler die Forschung an dem Virus (Fachname: Sars-CoV-2) voran, berichtet Professor Stephan Becker vom Institut für Virologie der Universität Marburg: „Wohl noch nie haben Forscher in so kurzer Zeit so viel Wissen über einen neuen Krankheitserreger erarbeitet. Das ist überwältigend!“

Das Tempo der Forscher ist beeindruckend

Schon jetzt arbeiten Dutzende Forschergruppen fieberhaft an Impfstoffen oder Medikamenten gegen die Covid-19 genannte Seuche. ClinicalTrials.gov, die weltgrößte Datenbank für medizinische Studien, listete am 25. März weltweit bereits 116 geplante oder laufende klinischen Prüfungen auf. Und nahezu täglich werden es mehr.

Besonders schnell waren zwei US-Unternehmen: Die Biotechfirma Moderna startete bereits einen Impfstofftest, und Gilead Sciences legte mit der Erprobung eines neuen Wirkstoffs an 1.000 Patienten los. Der Darmstädter Konzern Merck stellt in großem Stil Interferon beta-1a für eine Studie bereit. Der Schweizer Pharmakonzern Roche präsentierte ein Massentestverfahren. All das in nur drei Monaten nach Bekanntwerden erster Krankheitsfälle!

Branchenexpertin Jasmina Kirchhoff vom Institut der deutschen Wirtschaft sagt: „Das zeigt, wie schnell Unternehmen in einer Marktwirtschaft Mittel und Manpower für neue Herausforderungen bereitstellen können.“ Allein die 44 Unternehmen, die dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller hierzulande angehören, haben 18.000 Beschäftigte in Forschung und Entwicklung und investierten 2018 rund 7,4 Milliarden Euro in neue Arzneien. Das sind 30 Millionen Euro am Tag.

 „Die Impfstoff-Entwicklung braucht heute anders als früher nicht mehr Jahre“

Das sagt der Virologie-Professor Becker. Hatte es bei der Sars-Epidemie 2003 noch 20 Monate vom Entschlüsseln des Virus bis zu ersten Impfstofftests gedauert, schafften Forscher das jetzt in zwei Monaten.

Möglich ist das, weil Wissenschaftler Impfstoffe heute biotechnisch herstellen. Sie verwenden lediglich Erbgutteile des zu bekämpfenden Virus für die Impfung. Nach der Injektion in den Körper rufen diese Schnipsel die Bildung ungefährlicher Viruseiweiße hervor, die dann die Immunabwehr scharf machen.

Erster Impfstoff könnte im Herbst kommen

Mit der Methode arbeitet auch das Tübinger Unternehmen Curevac, dessen Haupteigentümer Dietmar Hopp ist, der Mäzen des Fußballklubs TSG Hoffenheim. Die Tübinger Forscher produzieren aktuell erste Impfstoffmengen und wollen im Juni mit klinischen Prüfungen loslegen. Im Herbst könnte es vielleicht schon ein Präparat geben, so Hopp. Das Mainzer Start-up Biontech hat ebenfalls ein Erbgut-Präparat entwickelt und will ab April testen.

Professor Becker und sein Kollege Gerd Sutter von der Universität München dagegen setzen auf eine bereits zu 99 Prozent fertige sogenannte Impfplattform. „Dafür nutzen wir in Zellkultur gezüchtete ungefährliche Viren“, erklärt Becker. „In die bauen wir biotechnisch einen charakteristischen Erbgutabschnitt des zu bekämpfenden Erregers ein und verwenden die veränderten Viren dann als Impfstoff.“ Auch hier bildet der Körper selbst das Viruseiweiß, das seine Immunabwehr nun stimuliert. Impfstoffentwicklung und erste Produktion schnurren auf ein paar Wochen zusammen.

Medikamente, die Kranken Linderung verschaffen

Trotzdem bremst Becker übertriebene Hoffnung. „Auch wenn wir heute Impfstoffe viel schneller entwickeln, früher testen und die Zulassungsbehörde vielleicht rasch arbeitet, die Sicherheit einer Impfung muss gewährleistet sein. Deshalb wird es wohl ein Jahr dauern, bis ein Präparat auf den Markt kommt.“ Die erste Pandemie-Welle ist dann vorüber, aber es könnten ja weitere folgen.

Solange es noch keinen Impfschutz gibt, könnten Arzneien Corona bekämpfen oder zumindest lindern. Allein bei antiviralen Wirkstoffen laufen laut dem Branchenverband VFA bereits mehr als ein Dutzend Projekte. US-Konzerne wie AbbVie oder Pfizer mischen da mit sowie Pharma-Unternehmen wie Gilead Sciences. Deren Wirkstoff (Remdesivir) blockiert ein Enzym, das Viren vom Typ Sars-CoV-2 zur Vermehrung brauchen, und könnte deshalb bei schlimmen Verlaufsformen helfen.

Gefragt ist jetzt auch das gegen Viren wirksame Chloroquin von Bayer, eigentlich ein Malariamittel. Chinesische Behörden haben es in die Behandlungsempfehlungen für das Coronavirus aufgenommen. Die Produktion in Pakistan hat Bayer schon wieder hochgefahren. Für den Import braucht der Konzern aber Sondergenehmigungen.

Die Viren bekämpfen und die Lunge von Kranken schützen soll eine neue Enzym-Arznei des Unternehmens Apeiron Biologics in Wien. Und die gefährliche Überreaktion des Immunsystems könnte ein Antikörper vom Roche-Konzern verhindern, der gegen Gelenkrheuma eingesetzt wird.

Test von Roche für vollautomatisches Verfahren

Roche-Forscher haben einen Test für vollautomatische Hochdurchsatzsysteme entwickelt. Bei Über-Nacht-Lauf können die bis zu 4.100 Proben untersuchen. Und: Mit einem neuen Schnelltest von Bosch lassen sich Corona-Infektionen in unter zweieinhalb Stunden feststellen, direkt am Ort der klinischen Behandlung. All das könnte helfen, die Ansteckungsketten zu brechen. 

Der Kampf gegen das Virus

  • 116 geplante oder gestartete Studien für die Behandlung der Coronakrankheit zählte ClinicalTrials.gov am 25. März
  • 2 Monate nach der Virus-Analyse begann die erste Impfstoff-Studie
  • 30.000.000 Euro investieren Pharmakonzerne hierzulande täglich in die Forschung
  • 18.000 Mitarbeiter erforschen und entwickeln in den 44 Mitgliedsunternehmen des Branchenverbands VFA Medikamente