Korbach. Die Zukunft ist digital, das haben wir längst begriffen. Doch im nordhessischen Korbach mit seinen gerade mal 23.500 Einwohnern hat sie bereits begonnen: Hier steht die neue Hightech-Fertigungsanlage vom Reifenhersteller Continental, in der sich alles um Daten und Vernetzung dreht. Die Branche hat in Sachen Industrie 4.0 Fahrt aufgenommen.

Im Grunde ist die chemische Industrie bereits „digitalisiert“: Ohne hochintegrierte und rechnergestützte Produktion wäre ein chemischer Produktionsstandort heute nicht mehr denkbar.

Doch die Veränderungen durch große Datenmengen, hohe Rechnerkapazitäten und neue Algorithmen stehen erst noch bevor. Wie das aussehen kann, zeigt der Technologiekonzern am Standort Korbach (pro Jahr neun Millionen Reifen).

Gerade wurde das 45 Millionen Euro teure High Performance Technology Center eröffnet, das neben einer hochmodernen Reifenproduktion für technologisch anspruchsvolle Fahrzeuge auch eine Forschungsanlage umfasst. Erstmals sind alle Maschinen untereinander mittels Sensorik und Software vernetzt. Die Produktionsschritte lassen sich nun lückenlos dokumentieren – bis hin zum Verhalten der Materialien während ihrer Verarbeitung.

Und was passiert im „Conti-Zukunftslabor“? „Hier findet der Versuchsreifenbau zur Entwicklung und Erprobung neuer Fertigungsverfahren statt“, erklärt Werkleiter Lothar Salokat. Fachleute aus dem Reifenbau, Chemiker und Physiker konzipieren gemeinsam neueste Verfahren und können sofort nachverfolgen, ob sie zur Reifen-Serienproduktion taugen.

Der Ansatz Industrie 4.0, diese Vernetzung von Maschinen, Robotern und Sensoren, eröffnet der Branche eine neue Welt. Bei Conti und in anderen Unternehmen werden permanent Daten ausgetauscht, optimale Abläufe berechnet, der Zustand von Bauteilen abgefragt. Sogar die Maschinenbelegung wird selbstständig geplant. Braucht man da noch Personal?

„Die Vergangenheit zeigt, dass mit einem Technologieschub in der Regel wirtschaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung einhergehen“, sagt Andreas Ogrinz, der beim Chemie-Arbeitgeberverband BAVC für das Projekt „Arbeiten 4.0“ zuständig ist. Am Standort Korbach sind 80 neue Jobs entstanden. Allerdings: „Bestimmte Tätigkeitsfelder und Berufe können wegfallen, auch verändern sich Jobprofile und Anforderungen.“ Schwere körperliche Arbeit würde künftig häufiger von intelligenten Maschinen und Systemen ausgeführt.

Wichtig ist die Nachhaltigkeit

„Der Anteil einfacher manueller Tätigkeiten wird tendenziell sinken“, so Ogrinz. „Beschäftigte werden voraussichtlich stärker Abläufe koordinieren, die Kommunikation steuern und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen.“ Zudem werden „moderne und flexible Arbeitsformen“ entstehen: „Die Digitalisierung der Arbeitswelt verlangt Zeit- und Ortsflexibilität sowie eine lebensphasenorientierte Ausgestaltung von Arbeitszeit.“

Dass die Mitarbeiter das „Herz“ der Betriebe bleiben, zeigen Bekenntnisse wie etwa von Uzin Utz, Spezialist für Bodensysteme in Ulm: „Der Kern unseres Schaffens sind die Menschen!“, heißt es dort.

Kurt Bock, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie und Chef des Chemiekonzerns BASF, betont, dass es bei Industrie 4.0 um mehr gehe als um „weitere Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle“. Wichtig sei Nachhaltigkeit in allen Facetten: „Wirtschaftlicher Erfolg, Schutz der Umwelt und gute Arbeitsbedingungen.“