Berlin. Bei der Chemie-Tarifrunde 2018 hat die Chemiegewerkschaft IG BCE kürzlich die Katze aus dem Sack gelassen: Sie denkt an 6 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten und dazu 1 Prozent „on top“ für mehr Urlaubsgeld. „Das ist mit uns nicht zu machen“, sagt Thomas Naujoks, Verhandlungsführer für den Arbeitgeberverband Nordostchemie. AKTIV wollte wissen, wie er die aktuelle Lage einschätzt.

Wie steht die Branche im Osten wirtschaftlich da?

Der Umsatz der Chemie- und Pharma-Unternehmen im Verbandsgebiet ist im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent gestiegen. Die Auslastung unserer Anlagen ist hoch, der Export nach Mittel- und Osteuropa hat zugelegt. Die Ausfuhr insgesamt stagnierte allerdings. Die Produktion der gesamten Branche soll bis Jahresende um 3,5 Prozent, der Umsatz um 4,5 Prozent steigen.

Wir dürfen unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht aufs Spiel setzen

Also alles eitel Sonnenschein?

Jede Medaille hat zwei Seiten. Wir haben hier vorwiegend kleine und mittelständische Unternehmen. Die können auf plötzliche Veränderungen nicht so einfach reagieren – Stichwort USA, Brexit, Rohstoff- und Energiepreise. Die Weltwirtschaft reagiert sensibler auf politische Unwägbarkeiten, und die Berechenbarkeit künftiger Entwicklungen scheint gesunken zu sein.

Die Mitarbeiter haben eine solide Entgeltentwicklung erlebt

Die Chemie-Gewerkschaft sieht die Lage rosiger und fordert vor allem mehr Geld …

… wobei man diese einmalige Boom-Phase mit Einmalzahlungen honorieren sollte. Dann sind wir besser aufgestellt, sobald der Weg wieder steiniger wird. Der Kostendruck besteht immer. Nehmen wir etwa die Arbeitskosten, die in der Chemie-Branche in den letzten Jahren massiv gestiegen sind. Wir müssen aufpassen, dass wir in der laufenden Tarifrunde nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aufs Spiel setzen. Die Mitarbeiter haben in den zurückliegenden Jahren eine solide Entgeltentwicklung in Zeiten minimaler Inflation erlebt. Die Regelungen im Tarifvertrag „Lebensphasengerechte Arbeitszeitgestaltung für die ostdeutsche chemische Industrie“ sind zudem recht mitarbeiterfreundlich gestaltet.

Was muss denn jetzt passieren, damit sich die Chemie im Osten weiterhin gut entwickeln kann?

Wir müssen für die Investoren auch künftig gute Bedingungen bieten, beim Thema Ansiedlungen haben wir noch Nachholbedarf. Bezahlbare Löhne gehören hier unbedingt dazu! Es gilt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern und weiterhin Arbeitsplätze zu schaffen. Und denken Sie an das Riesenthema Industrie 4.0 und die Digitalisierung! Die Debatte um die Gestaltung der modernen Arbeitswelt ist spannend. Die Tarifrunde ist der richtige Rahmen, um Fortschritte für beide Seiten zu erzielen.

Hilft Ihnen dabei die 2017 vereinbarte Arbeitszeitgestaltung?

Sie sprechen das Potsdamer Modell an. Das wird sich zeigen. Für die betriebliche Arbeitszeit haben wir nun die Möglichkeit geschaffen, die Arbeitszeit in einem Korridor von 32 bis 40 Stunden pro Woche flexibel zu gestalten. Derzeit laufen die betriebsinternen Absprachen. Wir sind zwar optimistisch, dass das hilft, müssen aber erst einmal abwarten, wie sich das in der Praxis bewährt.