Wiesbaden. Wie gut entwickelt sich das Geschäft in der Chemiebranche? Das ist die Kernfrage in der anstehenden Tarifrunde. 5 Prozent mehr Lohn sollen aufgrund der „weltwirtschaftlichen Dynamik“ drin sein, das fordert die Chemie-Gewerkschaft IG BCE. Die Einschätzung der Arbeitgeber ist eine andere.
„Die wirtschaftliche Lage unserer Branche lässt keine großen Sprünge zu“, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie in Wiesbaden. „Wir erwarten kaum mehr als Stagnation in der Chemie. Wenn es gut läuft, gelingt es uns, den Umsatzrückgang des letzten Jahres wieder aufzuholen.“
Zwar erwirtschaftete die Branche 2015 ein kleines Produktionsplus von 0,7 Prozent (arbeitstag- und saisonbereinigt). Doch aufgrund deutlich gesunkener Erzeugerpreise (minus 2,8 Prozent) war das Ergebnis am Ende ein Umsatzrückgang von 0,4 Prozent.
„Nachholbedarf gibt es nur bei der Produktivität“
Das größte Sorgenkind der Chemie aber ist die immer größer werdende Kluft zwischen den Kosten und der Produktivität. Wie Stiller vorrechnet, sind die Chemie-Tariflöhne heute um 15 Prozent teurer als 2010. Im selben Zeitraum jedoch sank die Produktivität um 4 Prozent: „Wer jetzt noch mal 5 Prozent mehr Geld draufschlagen will, weckt Erwartungen, die nicht zu erfüllen sind“, so der Hauptgeschäftsführer. „Nachholbedarf gibt es nur bei der Produktivität!“
Tatsächlich trifft die Gewerkschaftsforderung die Branche in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld. Der Konjunkturaufschwung in Deutschland verliert gerade wegen der Abkühlung der Weltwirtschaft an Tempo, so der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Zwar treiben Konsumausgaben und die gute Lage am Arbeitsmarkt die Konjunktur derzeit an. Doch das reicht mit Blick auf den Weltmarkt nicht aus. Ökonomen warnen vor einer krisenhaften Verschärfung der Wirtschaftslage in China und anderen Schwellenländern, Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten, der Zuspitzung geopolitischer Konflikte und einem Wiederaufflammen der Euro-Krise.
Die Wirtschaftsweisen rechnen nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,5 Prozent, im November waren sie noch von 1,6 Prozent ausgegangen. Andere Wirtschaftsforscher sehen die Lage kritischer. Das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI geht nur von 1,4 Prozent 2016 aus, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag von 1,3 Prozent.
Wer glaubt, der niedrige Ölpreis könnte da doch helfen, irrt. Die Verbraucher sind zwar erfreut, doch für Produzenten wird die Sache zum Problem. So drücken zum Beispiel Abnehmer die Preise – ein Negativtrend, der sich seit 2012 fortsetzt. Auch die Nachfrage wichtiger Öl-Exportländer nach Chemie-Produkten fällt schwächer aus. „Unter dem Strich profitieren Autofahrer derzeit mehr als die Chemie-Industrie“, so Stiller.
Gesprächsbereit bei der Ausbildung
Neben der Geldforderung will die Gewerkschaft auch den Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg“ weiterentwickeln. „Die Arbeitgeber werden sich hier weiter stark engagieren“, so Stillers erste Reaktion.