Peter Kuntze behält gern den Überblick. Dafür sitzt der Ökonom hier auch goldrichtig: in Wiesbaden, im neunten Stock des Statistischen Bundesamts (Destatis). Denn zum einen hat er aus seinem Büro einen weiten Blick auf die hessische Landeshauptstadt. Zum anderen laufen bei Kuntze und seinem Team Daten zusammen, die eine Vogelperspektive aufs Land erlauben: Wie viel haben Unternehmen zuletzt investiert? Wie konsumfreudig sind die Deutschen gerade? Wie viel wird importiert, was exportiert? Kurz: Wie geht’s uns eigentlich, wirtschaftlich gesehen?

Die Konjunkturdaten helfen Betrieben, Politik und Verbrauchern

Daten zu diesen – und sehr vielen weiteren – Fragen werden bei Destatis gesammelt, analysiert und nach mathematischen Methoden zusammengerechnet. Das Ergebnis ist eine Zahl, von der jeder schon mal gehört hat: das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP. Die Statistik hat nach internationalen Vergleichsmaßstäben eine sehr hohe Qualität – worauf man hier durchaus stolz ist. Dabei wird sie intensiv von der Europäischen Union geprüft.

„Das BIP zeigt, was in Deutschland in einem bestimmten Zeitraum erwirtschaftet wurde“, sagt Kuntze. Als Leiter des Referats „Koordinierung und Analyse des BIP“ ist der 41-Jährige mit seinem Team dafür verantwortlich, dass Deutschlands wichtigste Zahl quartalsweise veröffentlicht wird. Aber wozu braucht es eigentlich so eine Kennzahl?

4 Jahre dauert es, bis alle Daten da sind

Um das zu verstehen, muss man eine zweite Zahl ins Spiel bringen: das reale, also inflationsbereinigte Wachstum, das in Prozent angegeben wird. „Unter Wirtschaftswachstum versteht man die Veränderung des BIP gegenüber einem Vergleichszeitraum“, erklärt Julia Völker, die als Referentin im Bereich „Private Konsumausgaben“ am BIP mitarbeitet. Heißt: Ist das BIP im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, wächst die Wirtschaft. Geht es in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen zurück, sprechen Ökonomen von einer technischen Rezession.

Sind wir noch im Abschwung oder wieder im Aufschwung? „Von der Antwort darauf hängt viel ab, wenn wir informierte wirtschaftliche Entscheidungen treffen wollen“, sagt Destatis-Experte Kuntze. Das fängt bei den Verbrauchern an: Kann man Geld für eine größere Anschaffung ausgeben – oder sollte man lieber sparen, weil der eigene Job bald auf der Kippe steht? Unternehmen orientieren sich natürlich auch an der Konjunktur: Ist absehbar, dass die Nachfrage steigt, fällt eine Investition in neue Produktionsanlagen leichter. „Auch die Politik muss gerade in Krisenzeiten ein klares Bild von der Wirtschaft haben“, ergänzt Ökonomin Völker.

Die Grundlagen zur Messung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland hat übrigens eine Frau gelegt: die Volkswirtin Hildegard Bartels (die übrigens später Destatis-Präsidentin wurde). Ab 1948 baute die damals 34-Jährige eine neue Abteilung auf, die dann das BIP ermittelte.

BIP: Im Schnitt trägt jeder Bürger fast 51.000 Euro dazu bei

Ab 1970 liegen auch vierteljährliche Werte vor. Heute arbeiten daran allein bei Destatis rund 110 Statistiker regelmäßig mit. Sie nutzen dazu viele Daten, die von den Betrieben, der Bundesbank und den Statistischen Landesämtern zugeliefert werden. „In regelmäßigen Abständen wird eine neue repräsentative Stichprobe von Unternehmen gezogen. Diese sind dann verpflichtet, die Daten etwa zu Umsätzen zu melden“, erklärt Kuntze. „Ohne diese Zulieferungen könnten wir unsere Arbeit gar nicht machen.“

Am Ende steht die Zahl, auf die alle achten: 4.305,3 Milliarden Euro betrug Deutschlands BIP im Jahr 2024 – umgerechnet immerhin 50.819 Euro je Einwohner. Ganz final ist diese Zahl allerdings noch nicht: Auch Monate nach Ablauf eines Berichtszeitraums ist die Datengrundlage teils noch unvollständig. Das BIP-Wachstum verändert sich so im Schnitt noch um bis zu einen halben Prozentpunkt, als endgültig gilt es erst nach vier Jahren. Manches muss sogar für immer Schätzung bleiben, sagt Destatis-Ökonomin Völker: „Zu Umsätzen mit Trinkgeld oder Schwarzarbeit gibt es natürlich keine harten Daten.“

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Klavier in einer Band. 

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