Mannheim/Frankfurt. Dieser Protest dürfte zu spät sein: Zehntausende meist junge Leute gingen jetzt in London gegen den EU-Austritt Großbritanniens auf die Straße. Der Brexit gefährde ihre Zukunft, fürchten sie. Und er gefährde ihre Jobchancen in einer Wirtschaft, die zu 47 Prozent von Exporten auf den Kontinent lebt. Schon erwägen erste Firmen abzuwandern, nachdem eine knappe Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der EU stimmte.

Das Votum stürzt nicht nur die Politik in Turbulenzen, auch die Wirtschaft gerät in schwieriges Fahrwasser. Großbritannien droht in den nächsten zehn Jahren ein „Wachstumseinbruch“, und deutsche Unternehmen bekommen das zu spüren, sagen Experten der Schweizer Beratungsfirma Prognos voraus.

Jeder siebte Pkw wird auf die Insel exportiert

Denn für die Betriebe hierzulande ist das Königreich das drittwichtigste Exportland. Produkte im Wert von 90 Milliarden Euro lieferten sie im letzten Jahr dorthin. Allen voran die Auto-Industrie. BMW, Audi, Mercedes und Co. verkauften auf der Insel jeden siebten Pkw made in Germany. Auch bei Chemie und Maschinenbau zählt das Land zu den Top Fünf der Abnehmerstaaten.

Die Betriebe werden sich wappnen müssen. Doch Experten sehen keinen Anlass zur Panik. Denn kurzfristig ändern sich die Handelsbedingungen wie etwa die Zollfreiheit ja nicht.

Das Brexit-Votum wird den Aufschwung in Deutschland dämpfen, aber nicht abwürgen, sagt Professor Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er rechnet vor: „Wenn die Ausfuhren nach Großbritannien um 10 Prozent zurückgehen, wird das Wachstum hierzulande um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte gebremst.“

Ähnlich moderat schätzen zum Beispiel das Münchner Ifo-Institut, die Landesbank Helaba und die zur Sparkassen-Gruppe gehörende Deka-Bank die Auswirkungen aufs Wachstum in diesem und dem nächsten Jahr ein. Holger Bahr, Leiter Volkswirtschaft der Deka-Bank, beruhigt: „Für den Moment lautet die gute Nachricht, dass der Brexit die deutsche Konjunktur nicht umwirft.“

Und die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit erwartet vorerst keine Effekte auf die Beschäftigung. Ihr Chef Frank-Jürgen Weise: „Es gibt jetzt keinen Anlass für uns, in den Krisenmodus zu gehen.“ Zumal im Mai 43,5 Millionen Menschen erwerbstätig waren – so viele wie noch nie. Selbst auf lange Sicht bis zum Jahr 2025 beschränken sich die Jobverluste hierzulande bei einem Brexit auf 70.000 Stellen, haben Experten der Beratungsfirma Prognos errechnet.

Großbritannien wird es härter treffen. Schon dieses Jahr brechen die Investitionen um 10 Prozent ein. Anfang nächsten Jahres droht eine Rezession. Ein Exodus von Firmen bahnt sich an. Das weckt Hoffnungen – auf mehr Bank-Jobs in Frankfurt und neue Start-ups in Berlin. Der langfristige Schaden aber dürfte überwiegen.