Köln/Stuttgart. Keine Region der Welt ist so eng mit dem Auto verflochten wie Baden-Württemberg: Hier wurde es 1886 erfunden, hier hat es heute eine immense Bedeutung für den Wohlstand. Doch wohin geht die Reise?
aktiv sprach mit dem Forscher Thomas Puls vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln über die Zukunft der Branche.
Steckt das Autoland Baden-Württemberg bereits mitten in einer Krise?
Jedenfalls ist schon seit 2018 auf dem Automarkt einiges in Unordnung geraten. Die deutsche Automobil-Industrie hat ja in den letzten 20 Jahren ein goldenes Zeitalter erlebt, weil sie sich sehr international aufgestellt hat und dadurch stark von der Globalisierung profitieren konnte. Doch diese Phase ist vorbei, das sehen wir an Kennzahlen wie dem Auftragseingang.
Was ist der Hauptgrund dafür?
Das hängt stark mit dem Protektionismus in der internationalen Handelspolitik zusammen! Früher war die Globalisierung der Erfolgsfaktor der Branche, jetzt dreht sich das um. Gerade weil die hiesigen Autohersteller und Zulieferer so global agieren, werden ihnen Handelshemmnisse nun besonders stark zum Problem. Dass sich die USA und China Autozölle um die Ohren hauen, drückt direkt auf ihre Absatzzahlen. Dazu kommen die strengen Vorgaben zur CO2-Regulierung: Die Unternehmen müssen sehr viel in die Entwicklung alternativer Antriebe investieren. Das schmälert die Gewinne zusätzlich.
„Wenn die Autohersteller wirklich so viel verschlafen hätten, dann gäbe es die Branche längst nicht mehr.“ IW-Forscher Thomas Puls
Politiker werfen der Auto-Industrie gerne vor, sie hätte die großen Trends verschlafen.
Der Vorwurf ist sehr fragwürdig, kommt aber immer wieder! Wenn die Unternehmen wirklich so viel verschlafen hätten, vom Katalysator über den Biodiesel bis zum E-Auto, dann gäbe es die Branche längst nicht mehr. Sie steht aber verdammt gut da, insbesondere im Autoland Baden-Württemberg! Wir analysieren nun zum wiederholten Mal die Patentanmeldungen: Daran sieht man, dass die Auto-Industrie die innovativste Branche überhaupt ist. Sie investiert auch viel mehr als andere Branchen in Entwicklung.
Wie schwierig ist es, Zukunftslösungen zu entwickeln, die erst viel später vielleicht jemand kauft?
Das ist ein riesiges wirtschaftliches Risiko - denn am Ende bestimmt der Kunde, was gekauft wird. So verschwand beispielsweise das erste Drei-Liter-Auto schnell wieder in der Versenkung – während der SUV wider Erwarten groß den Markt eroberte.
Die Bundesregierung will, dass bis 2030 zehn Millionen Elektroautos auf unseren Straßen fahren …
Umso mehr ist die Politik gefordert, eine ausreichende Lade-Infrastruktur aufzubauen. Erst damit bekommt der Kunde ja die Sicherheit, dass er sein Elektroauto auch wirklich fahren kann. Derzeit kommt ein E-Auto nur für Garagenbesitzer infrage oder als Zweit- oder Firmenfahrzeug. Für Leute aus niedrigeren sozialen Schichten gibt es kaum eine Möglichkeit, es zu nutzen.
Kommt das Elektroauto dann überhaupt raus aus der Nische?
Ja, denn die Hersteller müssen jetzt trotzdem in der Lage sein, das Feld zu bespielen, wenn sie an der Spitze bleiben wollen. Die nächsten zwei, drei Jahre werden da sehr spannend, es wird sich einiges tun – und es wird im Übrigen eine Vielzahl alternativer Antriebe geben.
Wird das Autoland Baden-Württemberg den Wandel packen?
Ein Technologiewandel birgt natürlich gerade für Technologieführer Risiken. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Doch die Südwest-Wirtschaft ist insgesamt gut aufgestellt. Sie hat die Innovationskraft, um den Wandel zu meistern.
Außerdem im Themen-Special:
Die Auto-Industrie ist seit Jahrzehnten im Südwesten der Garant für Wohlstand, Sicherheit und Arbeit. Rund 470.000 Beschäftigte in Baden-Württemberg sind direkt oder indirekt vom Automobil abhängig. Doch die Branche steht enorm unter Druck. Alle Kräfte in Wirtschaft und Politik müssen jetzt zusammenwirken, damit der Transformationsprozess gelingt und die Industrie ihre weltweite Spitzenposition behält.
Weitere Artikel des Themen-Specials:
- Einführung: Wie die Auto-Industrie um den Spitzenplatz kämpft
- Betriebe: Wie Hersteller und Zulieferer das Auto neu erfinden