Düsseldorf. Es ist ein altes Streitthema – und Industrie-Verbände in Nordrhein-Westfalen werben schon seit Jahren dafür. Jetzt setzt die schwarz-gelbe Landesregierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag um: Ab dem kommenden Schuljahr 2019/20 wird es an den Gymnasien in Nordrhein-Westfalen das neue Schulfach Wirtschaft geben, ein Jahr später folgen die anderen weiterführenden Schulen.
Die Jugendlichen sollen „bestmöglich auf ihre Zukunft und den Einstieg ins Berufsleben vorbereitet werden“, sagt NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer. „Hierzu sind Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge unverzichtbar.“
Am Gymnasium wird das neue Fach „Wirtschaft-Politik“, an den Realschulen schlicht „Wirtschaft“ heißen. Darüber hinaus werden die Hauptschulen einen neuen Lernschwerpunkt „Wirtschaft und Arbeitswelt“ erhalten.
Unterrichtsmaterialien sind eine hoheitliche Aufgabe des Landes
Die Sorge, dass künftig Unternehmen Einfluss auf die Gestaltung des Lehrmaterials nehmen könnten, sei nicht begründet, heißt es aus dem Schulministerium: Unterrichtsmaterialien seien „hoheitliche Aufgabe des Landes“.
Zudem lässt sich so ein Schulfach nicht mal eben aus dem Ärmel zaubern: Vorher muss zunächst ein detaillierter Lehrplan erstellt werden; anschließend werden Verbände, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen angehört. Das dauert. Trotzdem ist man in Düsseldorf zuversichtlich, den Zeitplan einhalten zu können.
In Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen steht das Fach Wirtschaft schon im Stundenplan
Die Wirtschaft freut es. Dadurch würde NRW mit den Bundesländern Baden-Württemberg, Thüringen und Bayern gleichziehen, wo das Fach schon fest im Stundenplan verankert ist.
Gleichwohl warnen Experten wie Michael Schuhen vor Euphorie: „Wir brauchen für diesen Unterricht unbedingt Lehrer, die eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung haben“, so der Geschäftsführer des Zentrums für ökonomische Bildung an der Universität Siegen: „Sonst bleibt fast alles beim Alten“ (siehe Interview).
Jugendstudie: Sieben von zehn jungen Menschen wissen nicht, was an der Börse passiert
Dass an den Schulen etwas passieren muss, belegen Studien. So sieht der Bundesverband der deutschen Banken in seiner Jugendstudie 2018 große Lücken im Wirtschaftswissen der jungen Menschen. Die Marktforschungsgesellschaft GfK befragte im Auftrag des Verbands 14- bis 24-Jährige.
Zwar wussten acht von zehn Jugendlichen, was eine Aktie ist. Doch sieben von zehn Befragten gaben zu, dass sie „von dem, was an der Börse passiert“, keine Ahnung haben. Aber auch bei anderen Wirtschaftsbegriffen gibt es gravierende Defizite: Nur jeder zweite Befragte konnte mit „Rendite“ etwas angefangen, gerade mal jeder Dritte „Inflationsrate“ erklären. Und was macht die Europäische Zentralbank? 40 Prozent verstehen da nur Bahnhof. „Man merkt ganz deutlich, dass es schon an den Grundbegriffen scheitert“, sagt Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands.
„Unternehmertum den Schülern nahebringen“

Das verwundert nicht: 71 Prozent der jungen Menschen sagen, dass sie in der Schule nicht viel bis gar nichts über Wirtschaft lernen oder gelernt haben – auch das fanden die GfK-Forscher bei der Umfrage heraus. Dabei wünschen sich 84 Prozent der Befragten in der Schule mehr Informationen über wirtschaftliche Zusammenhänge. Zwei Drittel fordern sogar die Einführung eines eigenen Schulfachs „Wirtschaft“. Ein klarer Appell an die Politik, dem die Landesregierung NRW jetzt endlich Taten folgen lässt.
Dr. Luitwin Mallmann hält diesen Schritt für lange überfällig. „Unser Wohlstand basiert schließlich auf einer funktionierenden Wirtschaft, die für Wachstum und Arbeitsplätze sorgt“, so der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Metall- und Elektro-Industrie NRW. „Deshalb ist es wichtig, die Rolle des Unternehmertums in Deutschland den Schülern nahezubringen. Denn sie sind die Fachkräfte, Existenzgründer und Unternehmer von morgen.“
Interview

Siegen. „Wirtschaft ist unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung“, sagt Michael Schuhen. Deshalb sei die Einführung eines eigenständigen Schulfachs Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen längst überfällig, so der Geschäftsführer des Zentrums für ökonomische Bildung der Uni Siegen – und schränkt gleich ein: „Dieser Schritt alleine reicht nicht.“
Was haben Sie auszusetzen?
Ein Schulfach Wirtschaft ist schön und gut. Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. An Gymnasien soll das neue Fach, anders als bei den anderen weiterführenden Schulen, „Wirtschaft-Politik“ heißen. Das ist eine Gefahr.
Warum?
Denn dann könnten – wie schon heute üblich – Lehrer mit sozialwissenschaftlichem Studium die Schüler unterrichten. Dann bliebe fast alles beim Alten. Und das neue Fach wäre so etwas wie eine Mogelpackung.
Was fordern Sie?
Wir brauchen Lehrer, die in Sachen Wirtschaft fit sind. Sie müssen eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung haben. Ein großes Problem ist, dass viele Pädagogen die Inhalte fachfremd vermitteln. Da unterrichtet etwa der Erdkunde- oder Geschichtslehrer auch ökonomische Inhalte, obwohl er diese wahrscheinlich nie studiert hat. Ein Unding!
Das funktioniert also nicht?
So ist es; dafür ist das Thema Wirtschaft zu komplex. Schüler müssen lernen: Wie funktioniert Marktwirtschaft? Wie entwickeln sich Preise? Was geschieht, wenn man Zölle erhebt? Was bedeuten Globalisierung und Wettbewerb? Warum ist eine hohe Inflation gefährlich? Welche Rolle spielen Gewerkschaften, was heißt Mitbestimmung? Und warum sind Unternehmen so wichtig? Sie sollten zudem lernen, dass es unterschiedliche Denkrichtungen in der Ökonomie gibt. Das alles muss man wissen, um die Welt zu verstehen. Um mitreden zu können.
Was bedeutet das Fach für den beruflichen Einstieg?
Sehr viel. So lernen die jungen Leute, wie es in einem Unternehmen zugeht. Wie Preise entstehen und warum Wettbewerb so wichtig ist. Was zum Beispiel der Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn ist. Und natürlich auch eher alltägliche Dinge. Was man etwa bei Verträgen so alles beachten muss. Welche Rechte und Pflichten damit verbunden sind. Übrigens auch beim Ausbildungsvertrag: Dass man ihn nicht mal eben nach 20 Tagen wieder kündigen kann.
In Baden-Württemberg gibt es das Fach seit 2017 und in Bayern als Kombi „Wirtschaft und Recht“ schon seit Jahrzehnten. Läuft es dort gut?
Eindeutig ja! In Baden-Württemberg ist das neue Fach ein voller Erfolg. Eben weil die Lehrer sofort weiterqualifiziert wurden – und die Politik entsprechende Studienfächer geschaffen hat. Die Lehrer sind solide ausgebildet. Das gilt auch für Bayern. Da wird richtig viel Wirtschaft und vor allem gute Wirtschaft vermittelt.