Stuttgart/Berlin. Die Kinder zum Kindergarten fahren, auf dem Weg zur Arbeit noch beim Arzt vorbei und das Rezept abholen, auf dem Rückweg vom Job schnell Brot und Mülltüten kaufen. Zu Hause angekommen die Waschmaschine ausräumen, Abendessen vorbereiten, Hausaufgaben nachschauen. So sieht häufig der Alltag von berufstätigen Müttern aus. Obwohl sie arbeiten gehen, übernehmen sie noch zusätzlich den größten Teil der Erziehungs- und Hausarbeit.
Mütter sind heute öfter erwerbstätig
Wissenschaftler der Familienforschung im Statistischen Landesamt Baden-Württemberg haben sich genauer angeschaut, wie viele Stunden an Werktagen dort zusammenkommen. Ergebnis: Frauen im Alter zwischen 25 und 44 Jahren gehen durchschnittlich fast 14 Stunden am Tag Pflichtaufgaben nach, bei Männern sind es nur rund 12 Stunden.
Betrachtet man ausschließlich Paare mit Kindern, ist der Unterschied sogar noch krasser: Mütter kommen auf fast 16 Stunden Arbeit täglich, Väter auf 13,5 Stunden.
Die Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel, einer repräsentativen Wiederholungsbefragung, haben die Forscher zwar nur für Baden-Württemberg ausgewertet. Doch „der Trend gilt auch deutschlandweit“, sagt die Mitautorin Stephanie Saleth. Das belegt außerdem eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) von 2016. Sie zeigt eine Lücke von zwei Stunden täglich beim Vergleich von Müttern und Vätern.
Was die Zeitaufzeichnungen deutlich machen: Mütter sind heute zwar deutlich öfter und umfangreicher erwerbstätig als vor 20 Jahren, doch Haushalt und Kinder bleiben nach wie vor größtenteils an ihnen hängen. Experten sehen dafür mehrere Gründe:
Die Erwartungsfalle
„Die Gesellschaft erwartet von Müttern ständige Verfügbarkeit, eigene Bedürfnisse zurückzustellen und gleichzeitig eine moderne, erwerbstätige und erfolgreiche Frau zu sein“, sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks in Berlin. Die Stiftung setzt sich für die Gesundheit von Müttern ein und arbeitet mit über 70 Kliniken und 1 200 Beratungsstellen zusammen.
Auch der Anspruch an die Erziehung der Kinder sei deutlich gestiegen, weshalb ebenfalls vor allem die Frauen mehr leisten müssen: „Mütter sind zuständig für den Bildungserfolg und die Förderung ihrer Kinder“, so Schilling. Ebenso wird die Pflege von Angehörigen häufig den Frauen ganz selbstverständlich zugewiesen.
Die Perfektionismusfalle
Mit den gestiegenen Ansprüchen eng zusammen hängt der eigene Perfektionismus vieler Frauen. „Die Mütter von heute wollen perfekt sein, als Partnerin, im Beruf, als Mutter und als Hausfrau“, bestätigt die Chefin des Müttergenesungswerks. „Frauen fühlen sich schnell verantwortlich. Nein zu sagen, fällt ihnen schwer.“
Eine Studie des Kölner Rheingold-Instituts zeigt: Selbst auferlegter Perfektionismus setzt Mütter im Alltag unter Druck.
Acht von zehn Frauen meinen, sie hätten alles im Griff. Jede zweite Frau nimmt Aufgaben lieber selbst in die Hand, als ihren Mann zu fragen. Studienleiterin Birgit Langebartels rät Frauen, „einen Gang runterzuschalten“. Das könne bei kleinen Dingen anfangen, wie: „Den Kuchen für die Schulfeier zu kaufen, statt ihn selber zu backen.“ Ihren Partnern sollten sie mehr zutrauen: „Verantwortung abzugeben, kann man lernen.“
Die Teilzeitfalle
„Die traditionelle Rollenverteilung in Familien lebt weiter, auch weil Männer in der Regel mehr verdienen und deshalb Frauen Teilzeit arbeiten“, so Expertin Schilling.
Wer nur in Teilzeit berufstätig ist, hat nachmittags Zeit, die Kinder zum Judo-Training zu fahren. Umgekehrt führt das dazu, dass Frauen häufig gar nicht Vollzeit arbeiten möchten, weil sie sich zu solchen Aufgaben verpflichtet fühlen. Dauerhafte Teilzeit ist jedoch ein Grund für geringeres Einkommen (siehe Kasten). Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Trotz niedriger Verdienstchancen finden es 85 Prozent von rund 2.000 befragten teilzeitbeschäftigten Frauen „super“, in Teilzeit zu arbeiten, 60 Prozent gaben an, möglichst bis zur Rente in Teilzeit arbeiten zu wollen – das ergab eine aktuelle Umfrage des Delta-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung im bayerischen Penzberg. Das hat Folgen: Alterseinkommen von Frauen sind im Schnitt nur halb so hoch wie die der Männer. Die Forscher appellieren: Familienpolitik müsse auf die gleichberechtigte Verteilung von Familienaufgaben zielen.
Übrigens: Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist viel kleiner als gedacht. Ein Experte vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nimmt für aktiv den sogenannten Gender Pay Gap unter die Lupe.