Leichlingen. Stille herrscht, bevor die Hölle losbricht. Kerstin Ernst richtet die Düse eines Spritzautomaten auf eine rohe Alufelge. Die Düse trägt in wenigen Sekunden bei einer Hitze weit jenseits der 1.000 Grad und mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit eine Titankante auf die Auto-Felge auf. Parameter wie bei einem Düsenjet. „Und es ist genauso laut“, schreit die junge Frau gegen den Lärm an.

Ernst leitet die Forschung und Entwicklung bei Putzier, einem Spezialisten für thermisches Spritzen. Die Metallfirma im bergischen Leichlingen mit gerade mal 40 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 4 Millionen Euro drehte Ende letzten Jahres ein großes Rad.

Die Felgen sind für einen vollautomatisch fahrenden Sportwagen bestimmt, eine Studie aus der Schweizer Ideenschmiede Rinspeed, die Anfang Januar auf der Technik-Messe CES in Las Vegas viele Blicke auf sich zog. „Eine bessere Werbung konnten wir uns kaum vorstellen“, sagt Inhaber und Geschäftsführer Jens Putzier.

Bei einem solchen Projekt mitwirken – das ist schließlich etwas Besonderes. Und doch typisch für viele Familienunternehmen. Sie sind eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft.

Jeder vierte Betrieb sitzt in NRW

Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie sind 90 Prozent der vier Millionen Betriebe hierzulande von Familien oder Inhabern geführte Firmen. Laut Institut für Mittelstandsforschung stellen sie mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland. Sie erzielen im Schnitt fast 40 Prozent ihrer Umsätze im Ausland, wie eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers ergab.

Allein die 50 größten Familienunternehmen zwischen Ostsee und Alpen kamen 2014 auf einen Umsatz von zusammengerechnet 959 Milliarden Euro – das ist ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands. Und: Jedes vierte Familienunternehmen hat seinen Sitz in Nordrhein-Westfalen. Darunter befinden sich zahlreiche Firmen aus der Metall- und Elektro-Industrie. Dabei ist das Gros dieser Betriebe eher klein und unscheinbar – wie eben Putzier in Leichlingen.

Dennoch haben es viele Mittelständler zum Weltmarktführer gebracht. Wie das Siegener Unternehmen Utsch, die Nummer eins bei Autokennzeichen. Oder die Probat-Werke in Emmerich, die den Markt der Kaffeeröst-Maschinen dominieren. Oder die Firma Mennekes in Kirchhundem, die in Sachen Industriesteckervorrichtungen und -verteilungen spitze ist. Gelungen ist das mit Flexibilität und Innovationsfreude.

Auch der Metallbetrieb Putzier ist bereit, neue Wege zu gehen. Bislang hatten sich die Leichlinger unter anderem auf die Beschichtung von Wellen spezialisiert, die deren Verschleiß in Maschinen minimieren soll. Mit dem Rinspeed-Auftrag trauen sie sich jetzt ganz Neues zu.

So zeigen ihre Werkstoffe in der neuen Studie „Etos“ in und am Auto, wofür sie gut sind. Die Pedalerie ist dank einer rauen Titanbeschichtung absolut rutschfest, und die ebenfalls mit Titan beschichteten anthrazit-matten Zierleisten fühlen sich an, als wären sie porös.

Die bearbeitete Alu-Felge hingegen hat eine spezielle Kante, die den Reifen vor unschönen Remplern schützt. Jens Putzier: „Wir wollen zeigen, dass wir Spannendes machen können, das toll aussieht und einen Zusatznutzen bringt.“

Für Rinspeed musste Putzier die Grenzen des Machbaren neu definieren. Entwicklungschefin Kerstin Ernst: „Wir haben uns mit unseren Spritzautomaten zunächst ganz vorsichtig an die Zierleisten herangetastet und dabei viel Know-how gewonnen.“ Für das Auto hätte die Firma nicht nur ein großes Rad gedreht, sondern, so Ernst, „während mancher Überstunde auch am Rad“.