Ottobrunn / Oberpfaffenhofen / Augsburg / Ingolstadt. Sie ermöglichen das Vorhersagen von Naturkatastrophen, erleichtern Landwirten das effiziente Bewirtschaften der Felder und helfen Forschern, den Klimawandel besser zu verstehen: hochauflösende Bilder aus dem All.
Solche Aufnahmen liefert seit kurzem „Sentinel 2B“. Der Super-Satellit stammt vom Raumfahrtunternehmen Airbus Defence and Space mit Hauptsitz in Ottobrunn bei München. In 786 Kilometer Höhe umkreist er die Erde. Sein Zwillingsbruder „Sentinel 2A“, der schon seit knapp zwei Jahren im All unterwegs ist, begleitet ihn dabei.
Alle fünf Tage ein neues Bild der Erdoberfläche
Die beiden Satelliten sind absolut Hightech – wie fast alles, was ins All geschossen wird. Denn in der Raumfahrt gelten besonders hohe Ansprüche: an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Leistung. Die Raumfahrt-Industrie arbeitet immer im technischen Grenzbereich – und muss dazu ständig neue Wege gehen.
So hilft sie uns auf der Erde nicht nur mit Anwendungen weiter, die aus dem All gesteuert werden, wie etwa Navigationssysteme. Die Raumfahrt ist zugleich ein wichtiger Innovationsmotor. Viele ihrer Technologien werden mit der Zeit in anderen Industrien übernommen. In Bayern arbeiten knapp 5.000 Menschen bei Raumfahrtfirmen und Forschungseinrichtungen – einem Wirtschaftsfeld, das der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft als eine von zehn Zukunftsbranchen identifiziert hat.
Aushängeschild sind Projekte wie Sentinel. Der Satellit macht Aufnahmen mit einer Milliarde Pixel. Zum Vergleich: Gute Handykameras haben nur 16 Millionen Pixel. „Sentinel knipst keine einzelnen Fotos. Er scannt die Erde permanent“, erklärt ein Airbus-Sprecher. Alle fünf Tage liefert er auf diese Weise ein komplettes Bild der Erdoberfläche. Die Mission ist Teil des „Copernicus“-Programms zur Umwelt-Überwachung und bringt nicht nur die Wissenschaft voran. Die Europäische Weltraumorganisation ESA, die die Satelliten betreibt, stellt die Bilder jedem kostenlos zur Verfügung.
Messinstrumente für die Mars-Mission
Landwirte erfahren so etwa, ob es für ihren Mais zu trocken ist oder der Weizen mehr Dünger braucht. Nach Überschwemmungen und Erdrutschen kann man dank der Daten Karten für Hilfsaktionen anfertigen. Auch Schüler und Studenten können sich auf der Internetseite des ESA-Programms Copernicus anmelden und haben dann Zugriff auf einen digitalen Atlas mit Bildern aus dem All.
Daten sammeln, beobachten, untersuchen: Das ist auch das Ziel von ExoMars, einem weiteren Programm der ESA. Es soll den erdnahen Planeten erkunden. Die Frage für die Forscher lautet: Gab oder gibt es noch Leben auf dem Mars? Instrumente aus Oberpfaffenhofen werden bei der Antwort helfen. Dort entwickelt das Unternehmen OHB Messinstrumente für die Raumfahrt. Sie werden in einem hochreinen Speziallabor am oberbayerischen Standort zusammengesetzt. Denn kein Stäubchen oder Keim von der Erde soll später die Messungen verfälschen.
Unter anderem entwickelt OHB für die Expedition eine hochauflösende Kamera zum Einbau in den ExoMars-Rover. Er soll detailgenaue Bilder von der Oberfläche des Planeten liefern. Optische Geräte und weiteres technisches Know-how von OHB fließen außerdem in Instrumente für Gesteins- und Bodenproben ein. Die Proben sollen gleich vor Ort unter die Lupe genommen werden – mithilfe von Systemen, die ebenfalls die Raumfahrtspezialisten aus Oberpfaffenhofen entwickeln.
Bayerische Unternehmen stellen neben Instrumenten zu Beobachtung und Forschung auch Technik bereit, mit der die Instrumente ins All gebracht werden. So plant und liefert aktuell das Luft- und Raumfahrtunternehmen MT Aerospace mit Standort in Augsburg mechanische Systeme für Raketen-Startanlagen. Sie sind für die zukünftige europäische Trägerrakete „Ariane 6“ gedacht. MT Aerospace mit seinen weltweit 700 Mitarbeitern ist maßgeblich an der Entwicklung und Industrialisierung des Trägersystems beteiligt. Mitte 2018 soll es reif zur Übergabe sein.
Darüber hinaus produziert das Unternehmen auch Schlüsselkomponenten für die Trägerrakete „Ariane 5“. Vor allem bei Leichtbau-Strukturen, die eine große Rolle im Raketenbau spielen, ist MT Aerospace Technologieführer.
Audi betritt im All technologisches Neuland
Andere Unternehmen nutzen den Weltraum vor allem als großes Testlabor, so etwa Audi in Ingolstadt. Seit 2015 kooperiert der bayerische Autohersteller mit einer Gruppe von Ingenieuren, die Anfang des kommenden Jahres einen unbemannten Rover auf dem Mond fahren lassen will.
Die Audi-Experten unterstützen dabei unter anderem mit ihren Kenntnissen in Sachen Allrad, Elektro-Antrieb, Leichtbau und Design. „Wir betreten mit dem Audi lunar quattro technologisches Neuland und können viel über das Verhalten von Fahrzeugkomponenten unter Extrembedingungen lernen“, sagt Audi-Ingenieur Michael Schöffmann. „Allein die Kameratechnologie ist für den Betrieb des Rovers essenziell und wird auch für unsere Fahrzeuge immer wichtiger, vom Einparkassistenten bis zum automatisierten Fahren“, so der Projektkoordinator.
Auf dem Mond wird sich der Rover mithilfe von vier Kameras orientieren. Mit ihnen kann er Gegenstände untersuchen, 3-D-Aufnahmen machen und 360-Grad-Bilder schießen. Um voranzukommen, muss sich der Quattro-Antrieb des Audi auf holprigem Gelände bewähren. Neue Algorithmen steuern dafür das Drehmoment an den Rädern, damit sie nicht durchdrehen. Ihre Höhe und Geschwindigkeit sind individuell einstellbar.
Die vier Räder des Audi lunar lassen sich zudem alle um 360 Grad drehen. Ob das die Serienfahrzeuge von Audi in ferner Zukunft auch einmal können werden, steht in den Sternen. Praktisch fürs Einparken wäre es allemal.
Interview

Die Raumfahrt macht bei Sicherheit, Zuverlässigkeit und Leistung keine Kompromisse
München. Bayern ist neben Baden-Württemberg und Bremen ein Zentrum der deutschen Raumfahrt-Industrie. Der Geschäftsführer des bayerischen Clusters Aerospace, Peter Schwarz, erklärt, warum der Freistaat gute Bedingungen bietet – und worauf es in der Branche ankommt.
Was unterscheidet die Raumfahrt-Industrie von anderen Branchen?
Sie ist höchst innovativ. Denn in der Raumfahrt kommt Technik zum Einsatz, die sich woanders nie rechnen würde. Das liegt an den hohen Kosten. Ein Kilo ins All zu bringen, kostet zwischen 20.000 und 40.000 Euro. Außerdem hat man nur einen Schuss. Besonders beim Start darf nichts schiefgehen. Und im Orbit kann man beim Defekt nicht einfach den ADAC rufen.
Was macht Bayern für Raumfahrt-Unternehmen so attraktiv?
Hier hat sich ein Netzwerk aus Firmen und Forschungseinrichtungen gebildet, von dem alle profitieren. Dazu gehört neben den Instituten der TU München und der Universität der Bundeswehr vor allem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Den Anstoß für diese Entwicklung gab vor Jahrzehnten die Politik, indem sie diese Einrichtungen gefördert hat. Heute suchen Firmen von ganz allein die räumliche Nähe zu diesem Netzwerk.
Profitiert davon der gesamte Industriestandort?
Die Raumfahrt-Industrie arbeitet bei Projekten regelmäßig auch mit Firmen aus anderen Branchen zusammen. Die Partner kommen bevorzugt aus der Region, weil man sich persönlich viel besser austauschen kann. Natürlich findet so die eine oder andere Innovation – quasi als Abfallprodukt – auch schneller den Weg in eine andere Branche.
An welche Technologien denken Sie?
In der Werkstoffforschung dürfte in Zukunft recht viel passieren. Nutznießer davon wären unter anderem Triebwerkhersteller. Auch die Robotik ist ein Riesenthema, weil die bemannte Raumfahrt sehr teuer und gefährlich ist.