Ein Handkantenschlag und das Ding sitzt. Mit sattem Klacken rastet die silberne Radkappe ein, die Bernd Ewaldner gerade erstanden hat. Schnäppchen! „Bloß 15 Euro, bei VW wollten die viel mehr“, sagt der Rentner und klopft zweimal auf das glänzende Kunststoffteil, als wollte er es zur Wiedergeburt beglückwünschen. Jedenfalls: Ewaldners schwarzer VW Passat, ordentlich vernarbt von den Jahren, sieht jetzt wieder ein etwas vollständiger aus.

Regelmäßig komme er her, sagt Ewaldner, Wasserpumpe, der rechte Außenspiegel, „alles hier günstig vom Schrottplatz geholt“. Und wenn sein treuer Volkswagen irgendwann mal nicht mehr kann? Oder der Tüv den Daumen senkt? „Dann geht die letzte Fahrt auch hierhin“, grinst Ewaldner. Hierhin, das ist der Hof von Bender Carparts in Leverkusen, einem der größten Autoverwerter des Landes. Ein Ort, an dem Altautos ihr letztes Kapitel schreiben – ihre Teile aber eine zweite Chance bekommen.

Deutschland – noch immer ein Autoland. Knapp 50 Millionen Pkws rollen laut Kraftfahrt-Bundesamt derzeit über unsere Straßen. Das Durchschnittsalter der Fahrzeuge: 10,3 Jahre, so hoch wie nie. Für rund 400.000 von ihnen ist jedes Jahr die Fahrt endgültig zu Ende – sie landen bei einem der bundesweit etwa 1.100 anerkannten Demontagebetriebe.

Zustand entscheidet übers Fahrzeug-Schicksal

Rosteten die Altfahrzeuge früher vielerorts zu Türmen aufgeschichtet traurig vor sich hin, geht es heute um Ressourcenschonung. „Kfz-Recycling ist längst ein gutes Beispiel für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft und ein wichtiger Baustein für nachhaltige Mobilität“, sagt Johannes Hanke, Referent beim Recycling-Fachverband BVSE in Bonn. „Mit den ‚Ludolfs‘ aus der beliebten Schrottplatz-TV-Serie haben moderne Betriebe nichts mehr zu tun. Das sind heute hoch technisierte Rohstoffretter!“

Zurück bei Bender Carparts in Leverkusen. Chef Peter Bender, tiefe Kellerstimme, Goldkettchen, zupackende Hände, steht in der offenen Tür seines Büros und zieht an der nächsten Kippe. „Jedes Fahrzeug, das wir hier ankaufen, wird zuerst ins System aufgenommen“, erklärt er. Dann erfolge eine Art automobile Triage: Je nach Alter und Zustand wird entschieden, ob der Wagen als Ersatzteilspender auf dem Hof gelagert wird oder einzelne Teile ausgebaut werden. „Wenn man nichts mehr gebrauchen kann, kommt der Wagen in die Presse.“ Zuvor werden bei allen Autos die Flüssigkeiten abgelassen und die Reifen abmontiert.

75 Prozent eines Autos bestehen aus Metall

Was dann flunderflach aus der Presse kommt, geht an einen externen Schredderbetrieb. Dort wird der Schrott zerfetzt und noch mal sortenrein getrennt. Endprodukt: Qualitätsschrott, der dann beispielsweise zur Stahlerzeugung verwendet wird.

Da kommt einiges zusammen: Zu etwa 75 Prozent besteht ein Auto aus Metall. Verbaut wird zum Beispiel viel Aluminium, in Karosserieteilen, Motorblöcken, Fahrwerken, Felgen und Türen. Und das Recycling von Aluminium verbraucht 95 Prozent weniger Energie als die Herstellung von primärem Aluminium!

Altreifen und andere Wertstoffe fließen in die thermische Verwertung ein. Insgesamt lassen sich 95 Prozent eines Altfahrzeugs wiederverwenden oder -verwerten – eine Vorgabe der EU.

Millionen investiert in E-Auto-Verschrottung

Rund 7.000 Altfahrzeuge landen jährlich auf dem Hof der Benders. Damit zählen die Leverkusener zu den ganz Großen. „In der Branche dominieren Kleinbetriebe“, sagt BVSE-Experte Hanke. Rund 70 Prozent der Firmen kommen lediglich auf 250 verwertete Autos pro Jahr oder weniger.

Die kleinteilige Struktur könnte zum Problem werden. Denn auch die Verwerterbranche steht vor einer Transformation. Grund: die Elektromobilität. Für den Umgang mit Stromern gelten strenge Vorschriften, schließlich sind die Lithiumbatterien ein Gefahrengut. „E-Fahrzeugrecycling kann nicht jeder“, brummt Schrottplatz-Boss Bender. Um sich für die Zukunft besser aufzustellen, hat sein Unternehmen zuletzt Millionenbeträge investiert. „Wir können ein Elektrofahrzeug komplett auseinandernehmen und auch die Batterie zerlegen.“ Was bereits überraschend häufig passieren muss: Schon jetzt landen immerhin 500 Stromer pro Jahr auf dem Hof der Benders.

Noch aber dominiert das Geschäft mit Verbrennerteilen. Mit schnellen Schritten geht Tochter Anna-Marie Bender voraus, öffnet die Tür zur Lagerhalle und sagt: „Genug Auswahl hier, oder?“

Der Blick geht weit, eine Flucht von 120 Metern, überall Hochregale mit Teilen. Kotflügel und Spiegel, Stoßstangen und Scheinwerfer, hinter der nächsten Tür lagern 15.000 Motoren. „600.000 Teile sind es insgesamt.“

Der Schrottplatz, das ist Anna-Marie Benders Zuhause. Mit sechs baute sie hier den ersten Spiegel ab, suchte in Autowracks nach verlorenen Münzen. Dann kamen der Lkw-Führerschein, zahlreiche Lehrgänge, eine kaufmännische Ausbildung. „Ich wollte, dass mir im elterlichen Betrieb keiner was erzählen kann, weder in der Buchführung noch draußen bei den Autos.“ Heute teilt sich die 29-Jährige die Geschäftsführung mit Papa Peter. Eine junge Frau in der Schrottplatz-Männerwelt, „da lernt man, wie man sich durchsetzt“.

Eine ihrer ersten Amtshandlungen: ein intelligentes Warenwirtschaftssystem, KI-gestützt. „Klaus und Ingo“, scherzt Vater Peter, „die hocken jetzt bei uns im Keller.“

Die Kunden sparen – und kaufen gebraucht

Bis zu 200 Kunden schauen täglich vorbei, dazu kommen im Schnitt noch 150 Online-Bestellungen. Tendenz steigend. „Man merkt, dass das Geld heute nicht mehr so locker sitzt. Und Neuteile sind auch einfach verdammt teuer geworden“, sagt Peter Bender. Werkstätten fragten verstärkt nach Teilen, wenn den Kunden fabrikneue Bauteile schlicht zu teuer seien. „Und selbst Versicherer interessieren sich zunehmend für den Gebrauchtteilemarkt, um Kosten zu sparen.“

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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