Köln. Die Auto-Industrie in schwieriger Lage: Gleich mehrere Umbrüche muss sie bewältigen – den zum Elektroauto, den zu mehr Software auf Rädern und den zum autonomen Fahren. Zudem machen ihr neue Wettbewerber zu schaffen, die Nachfrage schrumpft nahezu weltweit. Pessimisten stimmen schon den Abgesang auf unsere Vorzeigebranche an.
In diese Situation hinein verkündete kürzlich die renommierte New Yorker Finanzagentur Bloomberg ihr neues Länderranking bei Innovationen: Deutschland erobert Platz eins – vor allem auch wegen seiner innovativen Auto-Industrie. Deutschland punktet bei Wertschöpfung, Hightech-Dichte und Patenten.
Mehr als ein Drittel aller wichtigen Neuerungen kommt aus Deutschland
Ingenieure und Techniker der Branche haben also die Nase vorn. Das bestätigt Professor Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach bei Köln: „Der Abgesang auf die Auto-Industrie ist verfrüht! Die tatsächliche Stärke von VW, Daimler und BMW ist deutlich besser als die öffentliche Wahrnehmung.“ Klar belegt das eine aktuelle Studie des CAM: Danach entwickelten VW (inklusive Töchtern wie Audi), Daimler und BMW von 2016 bis Mitte 2019 mehr als ein Drittel der innovationsstarken Neuerungen. Sie sind damit die besten 3 der 38 Autohersteller aus aller Welt!

Weil Innovation nicht gleich Innovation ist, bewerteten die Forscher 2.500 Entwicklungen, die in Serie gingen, anhand von 50 Kriterien: Wie sehr treibt eine Neuerung die Technik voran? Wie stark nutzt sie dem Fahrer? Ist sie eine Weltneuheit oder nur eine Nachahmung? Für jede Neuerung ermittelten sie so einen Wert und aus der Summe aller Neuerungen einen Firmenindexwert. Nicht einbezogen wurden übrigens Innovationen bei Verbrennungsmotoren. Führend sind deutsche Hersteller demnach bei Bedien- und Anzeigekonzepten, Vernetzung, Fahrassistenzsystemen und Plug-in- alias Steckdosen-Hybriden.
Über 42 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung
Jährlich steckt die Branche, die allein hierzulande mehr als 800.000 Menschen beschäftigt, über 42 Milliarden Euro in die Entwicklung. Sie hat ihren Forschungs-Output schon von 2005 bis 2017 um stolze 75 Prozent gesteigert – auf 17.200 Patentanmeldungen. Und sie hat „zukunftsträchtige Anwendungen“ mit im Blick, sagt Thomas Puls, Experte im Institut der deutschen Wirtschaft. „Ein ,Verpennen‘ wichtiger Trends ist nicht auszumachen.“
Aber: Neue Wettbewerber greifen an. Autokonzerne wie Hyundai aus Südkorea und Geely aus China, heute Mutter von Volvo, holen auf. Der Datenriese Google treibt autonomes Fahren voran, Tesla fährt bei der E-Mobilität vorweg. Knapp 370.000 Autos lieferte der US-Hersteller letztes Jahr schon aus!
Software wird immer wichtiger im Auto
Beim E-Antrieb diagnostiziert Professor Bratzel Aufholbedarf für die deutschen Autobauer. VW könne aber, unter anderem mit dem Golf-Nachfolger ID.3, in die Spitzengruppe aufsteigen.
„Enorme Anstrengungen“, so Bratzel weiter, seien auch gefordert bei Datenmanagement, Infotainment und der Möglichkeit, Updates aufzuspielen: Software wird immer wichtiger im Auto! VW hat deshalb eine eigene Geschäftseinheit gegründet: Aus jetzt 3.000 Experten sollen bis 2025 über 10.000 werden, aus 10 Prozent hauseigener Software über 60 Prozent. Bratzel ist zuversichtlich: „Bei konsequenter Fokussierung haben VW, BMW und Co. das Potenzial, Rückstände aufzuholen.“ aktiv zeigt hier einige aktuelle Beispiele dafür, was die Unternehmen jetzt schon draufhaben.
Schritt für Schritt zum autonomen Auto
- Von selbst zurück. Der Rückfahrassistent des neuen SUV BMW X5 merkt sich eine bis zu 50 Meter lange Strecke und fährt sie automatisch genau so wieder zurück. Der Fahrer muss also nur etwas Gas geben, bremsen und das Umfeld im Auge behalten.
- Sicher durch den Engpass. Beim neuen Audi A6 hilft ein Assistent durch Engstellen: Das System korrigiert etwa an Baustellen die Lenkung, wenn sich der Wagen zu sehr dem Fahrbahnrand nähert, und hält Abstand zu Fahrzeugen, die aus der Spur ragen.
- „Grüne Welle“ nutzen. Das können Audis mit Connect-System bald auch in Düsseldorf: 450 von 600 Signalanlagen werden über Rechner vernetzt und kommunizieren mit den Autos. Der Fahrer erhält einen Tempovorschlag. Oder ein Countdown zählt die Sekunden bis zur Grünphase. In Ingolstadt gibt es das schon.
- Automatisch ins Parkhaus. Mit dem Mercedes vorfahren und ihn alleine mit dem Smartphone zum Parken schicken? Daimler und Bosch machen das möglich, im Parkhaus des Mercedes-Museums in Stuttgart. Die Technik steckt im Gebäude und im Fahrzeug.
- Um die Ecke gucken. Sogenannte Lidar-Sensoren sollen in Zukunft von der Seite kommende Fahrzeuge wie etwa Motorräder zuverlässig erkennen. Das machen sie mit einem Detektor und Laserimpulsen. Lidar-Sensoren sind die mit Abstand teuerste Komponente für Roboterautos. Autozulieferer Bosch will sie serientauglich machen.
Aufdrehen in Sachen E-Mobilität
- Erster deutscher Elektro-SUV. Der Audi e-tron hat 408 PS und beschleunigt in unter sechs Sekunden auf Tempo 100. Ein spezielles Ladesystem vermeidet das Überlasten des Hausanschlusses, lädt zu kostengünstigen Zeiten – oder dann, wenn eine hauseigene Solaranlage Strom liefert.
- Laden ohne Kabel. Das bietet BMW als erster Hersteller weltweit für seine Plug-in-Hybride an. Ein externes Bodenmodul plus ein Gegenstück im Auto machen induktives Laden möglich, das kostet etwa 3.200 Euro extra. Die Münchner planen übrigens etwa ein Dutzend Elektro-Modelle bis 2023.
- Elektrischer Volkswagen. Noch in diesem Jahr will VW den ID.3 auf den Markt bringen. Der Konzern startet damit seine Elektro-Offensive: 50 E-Modelle sind geplant. Die Wolfsburger investieren bis Ende 2022 über 30 Milliarden Euro. Und bauen eine eigene Batteriefertigung.
- Schlaue Ladesäule. An einer neuen Säule von Mennekes braucht man keine Ladekarte oder App: Ein berechtigtes Auto wird beim Einstecken sofort von der Ladesäule erkannt! Wie viel Energie man gezapft hat, kann man ablesen und jederzeit via PC prüfen. Mennekes bietet dafür einen Abrechnungsservice.
- Wasserstoff-Trucks. An Brennstoffzellen für Elektro-Lkws tüftelt der Autozulieferer Bosch. Die Stuttgarter rechnen sich für 2030 Marktchancen bei Lkws aus. Schnelles Tanken und rund 700 Kilometer Reichweite sind da ideal.
Mehr Sicherheit durch Kameras und Sensoren
- Warnung vor Risiken. Beim neuen Porsche 911 zum Beispiel erkennt eine Wärmebildkamera, der „Nachtsichtassistent“, Fußgänger oder Tiere schon vor dem Scheinwerferkegel! Das System blendet die Silhouette in Signalrot neben dem Tacho ein. Zudem warnt ein Navigationssystem anhand von Daten anderer Autos vor Nebel, Schleudergefahr oder Unfallstellen.
- Schutz vor Seitenaufprall. Erfassen Sensoren beim Audi A8 eine drohende Kollision von der Seite, wird die Karosserie blitzschnell um acht Zentimeter angehoben! Dadurch kann der Seitenschweller den Aufprall besser abpuffern. Bei einem anderen System vom Autozulieferer ZF schützt ein äußerer Seitenairbag das Auto.
- Lenkhilfe. Ein neuer Tempomat der Mercedes A-Klasse kontrolliert nicht nur den Abstand zum vorausfahrenden Auto, sondern hält den Wagen auch in leichten Kurven in der Spur – bis zu Tempo 210. Das System unterstützt zudem beim Spurwechsel.
- Hightech-Sonnenblende. Ein durchsichtiges Display verdunkelt nur so viel Fläche wie nötig, damit der Fahrer nicht geblendet wird. Welche Teilflächen abgedunkelt werden, berechnet das System anhand von Kamerabildern des Fahrergesichts.