Düsseldorf/Iserlohn/Menden. Die Auto-Welt ist in Bewegung. Und wie! Autonomes Fahren, Digitalisierung der Produktion, Elektrifizierung der Antriebe – die Fahrzeugbauer und ihre Zulieferer müssen den größten Umbruch in ihrer Geschichte stemmen. Das Auto ist in Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten die Basis für Wohlstand und Arbeit – doch wie sieht das in Zukunft aus?

34 Milliarden Euro – so hoch ist der jährliche Umsatz der Autobranche in NRW

Was auf dem Spiel steht, zeigt ein Blick auf die Zahlen: 267.000 Pkws rollten 2018 in NRW vom Band. Zu den Autoproduzenten Ford, Mercedes (Nutzfahrzeuge) und dem jungen Start-up „Ego“ kommen zahlreiche Zulieferer wie Hella und Bilstein – alles in allem stellen im Westen 246 Firmen mit insgesamt 83.800 Beschäftigten Autos oder Kfz-Teile her. Dieser Industriezweig erwirtschaftete in NRW gut 34 Milliarden Euro.

Der Elektroantrieb wird diesen Industriezweig umkrempeln. Grund: Er besteht aus deutlich weniger Komponenten als Benzin- oder Dieselmotoren.

Europäische Union droht mit Milliarden-Strafen

Treiber dieser Entwicklung hin zum E-Auto sind das Pariser Klimaabkommen, eine neue EU-Regulierung zu Schadstoffemissionen bis 2030 und die beschleunigte Elektrifizierung in China, dem größten Pkw-Markt der Welt.

Die Europäische Union droht mit Milliarden-Strafen, sollten strenge Vorgaben nicht eingehalten werden: Bis 2030 müssen die Kohlendioxid-Emissionen (CO2) von Neuwagen auf 59,3 Gramm pro Kilometer gegenüber 2021 sinken.

Dabei darf schon ab 2021 der durchschnittliche Ausstoß aller neu zugelassenen Fahrzeuge in den EU-Staaten 95 Gramm CO2 pro Kilometer nicht überschreiten.

„Die Zeiten werden ruppiger“

Das setzt die Hersteller massiv unter Druck, der Autoabsatz läuft nicht mehr so rund wie noch vor wenigen Jahren.

„Die Zeiten werden ruppiger“, warnt Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW und geschäftsführender Gesellschafter des Iserlohner Automobilzulieferers Kirchhoff Automotive, der unter anderem Karosserieteile herstellt.

Es gebe viel Unruhe, weil alles gleichzeitig komme: digitale Transformation, Mobilitäts- und Energiewende. Vor allem die neuen Lösungen beim Antrieb sorgen für Verunsicherung.

Automobilverband: Alle Technologien und Antriebe in den Blick nehmen!

Der Automobilverband VDA in Berlin macht sich dafür stark, bei der Diskussion um die Verringerung des Klimagases CO2 alle Technologien und Antriebe in den Blick zu nehmen und weiterzuentwickeln.

„Also nicht nur das Batterieauto. Sondern auch den Wasserstoffantrieb sowie klimaneutrale synthetische Kraftstoffe“, so Kirchhoff. „Und auch hocheffiziente Diesel sind nach wie vor eine Option.“

Abgasreinigungsspezialist HJS sieht großes Potenzial im Wasserstoffauto

Offen sein für alle Technologien – so sieht man das auch bei HJS Emission Technology in Menden. Das Unternehmen produziert Abgasreinigungssysteme für Nutzfahrzeuge, Radlader, Traktoren sowie Sonderfahrzeuge. Als Nischenanbieter sei man zwar von der aktuellen Diskussion nicht so sehr betroffen, sagt Geschäftsführer Christoph Menne. Dennoch bereite man sich auf alternative Antriebskonzepte vor.

Er sieht großes Potenzial im Wasserstoffauto: „Die geringen Schadstoffemissionen, die bei der Verbrennung entstehen, können wir mit unseren Anlagen komplett eliminieren.“

Zudem arbeitet die Firma an Lösungen für batterieelektrische Fahrzeuge. Wie etwa modulare, integrierte Gehäuse mit Kühl- und Sicherheitsfunktionen für Batterien. Menne: „Wir rechnen mit einer Serieneinführung in drei bis fünf Jahren.“

Eine weitere Option sind klimaneutrale synthetische Kraftstoffe

Gleichwohl sieht man in Menden auch für klassische Verbrenner noch eine Zukunft. Nämlich, wenn sie mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.

Obwohl es also Alternativen zum Batterieauto gibt, setzt die Politik einseitig auf die Elektrifizierung des Autos. Allerdings muss dazu beim Ausbau der Lade-Infrastruktur der Turbo eingelegt werden. Die Zahl öffentlicher Ladepunkte müsste von heute 23.840 bis zum Jahr 2030 auf eine Million zulegen, so der VDA. Nur dann werden die Verbraucher umsteigen.

Der Wandel bietet auch große Chancen

Kirchhoff mahnt, nicht weiter Ängste zu schüren – jetzt, wo der Konjunkturmotor nicht mehr so rund läuft. Stichwort Jobs: „Wir sollten bei der Transformation ein Tempo wählen, bei der wir die Arbeitsplätze am Standort NRW erhalten. Außerdem sollten wir die Menschen nicht mit Verboten gängeln.“

Auf der anderen Seite biete der Wandel aber auch Chancen: „Es entstehen neue, spannende Arbeitsplätze.“

Mut macht auch eine aktuelle Studie des IAB-Forschungsinstituts der Arbeitsagentur in Nürnberg: Der deutsche Arbeitsmarkt konnte den Strukturwandel seit den 1970er Jahren ausgleichen. Unter dem Strich entstanden jeweils so viele neue Jobs wie umgekehrt abgebaut wurden.

„Die Zeiten der Jubelmeldungen sind erst mal vorbei“

In den nächsten Jahren müssen für den Kampf um die Spitze Tausende Mitarbeiter weitergebildet werden. Das können die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Branche „nicht ohne Unterstützung der Politik“ schaffen, so Kirchhoff. Auch die Vernetzung der Hochschulen im Land mit der Wirtschaft müsse noch besser werden.

Inzwischen haben die deutschen Autobauer angekündigt, aus Kostengründen bundesweit Zehntausende Arbeitsplätze zu streichen. Allein schon deshalb, weil die Montage von Elektroautos weniger Arbeitsschritte erfordert. Kirchhoff: „Wir hatten in der Branche jahrelang nur Jubelmeldungen zur Konjunktur. Diese Zeiten sind erst mal vorbei.“