Diskutiert wird darüber schon ziemlich lange – die neue Bundesregierung will die Sache nun endlich richtig angehen: die Flexibilisierung des deutschen Arbeitszeitgesetzes. „Im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie“, so heißt es im Koalitionsvertrag, wolle man neue Möglichkeiten schaffen und damit die Bedürfnisse einer „Arbeitswelt im Wandel“ berücksichtigen.
Im Fokus steht dabei die maximal erlaubte Arbeitszeit pro Tag. Sie liegt in Deutschland aktuell bei 8 Stunden, darf aber auf 10 Stunden ausgeweitet werden, wenn die Überstunden innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen werden. Wirtschaftsverbände halten diese tägliche Begrenzung für längst nicht mehr zeitgemäß – und verlangen von der Politik, endlich zu handeln.
Es geht nicht um eine Ausweitung der persönlichen Arbeitszeit
„Die Reform des Arbeitszeitrechts darf nicht länger vertagt werden“, fordert zum Beispiel Oliver Zander, Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Ziel müsse es sein, die persönliche Arbeitszeit freier über die Woche verteilen zu dürfen. „Eine Ausweitung der individuellen Arbeitszeit steht nicht zur Debatte“, versichert Zander.
Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine rasche Reform des Arbeitszeitgesetzes. BDA-Präsident Rainer Dulger sagt: „Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit passt besser in das Zeitalter der Digitalisierung als die strikte tägliche Höchstarbeitszeit. Wir brauchen das in Deutschland jetzt endlich auch.“
Es geht einfach um mehr Flexibilität. Sie soll Unternehmen mehr Spielraum geben, um etwa auf Auftragsspitzen reagieren zu können. Sie könnte darüber hinaus neue Schichtmodelle ermöglichen. Und auch Beschäftigte werden profitieren, wenn sie ihre Arbeitszeiten in Absprache mit dem Betrieb besser an ihre persönlichen Bedürfnisse anpassen können.
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie (die Deutschland einhalten muss) erlaubt längere Arbeitstage. Allerdings darf die Arbeitszeit laut EU-Vorgabe 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Grundsätzlich vorgeschrieben sind zudem 11 Stunden Ruhezeit am Stück, Tarifpartner dürfen jedoch unter bestimmten Voraussetzungen davon abweichen.
Andere Länder legen die Vorgabe der EU großzügiger aus
Länder wie Österreich und Italien nutzen diese Spielräume bereits besser aus als Deutschland und erlauben pro Tag 12 oder sogar 13 Stunden Arbeit. Auch in Griechenland soll demnächst ein Gesetz verabschiedet werden, das bis zu 13 Stunden am Tag ermöglicht.
Denn Situationen wie diese kommen im Betriebsalltag immer mal wieder vor: Ein Mitarbeiter bei einem international tätigen Konzern fängt morgens um 8 Uhr an zu arbeiten – und soll dann um 18 Uhr an einer kurzfristig anberaumten Telefonkonferenz mit Kollegen vom US-Standort teilnehmen. Nach derzeit geltender Rechtslage wäre das schwierig.
Auch bei den Regelungen zur Ruhezeit sieht etwa BDA-Präsident Dulger Handlungsbedarf. Manche Mitarbeiter würden flexibel arbeiten wollen, „vielleicht um 16 Uhr das Kind aus der Kita holen, dann um 20 Uhr noch zwei Mails schreiben – und dann trotzdem am nächsten Morgen um 7 oder 8 Uhr im Büro sein können“. „Das ist aktuell gesetzlich nicht möglich, weil man die Ruhezeiten dann nicht einhält", sagt Dulger. „Ich möchte, dass der gesetzliche Rahmen auch bei Ruhezeiten mehr Flexibilisierung zulässt, die wir mit unseren Sozialpartnern füllen.“
Die Gewerkschaften in Deutschland sehen solche Ausweitungen allerdings kritisch. Sie befürchten vor allem negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten. So warnt etwa Yasmin Fahimi, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vor einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes. „Das wird nicht Wirtschaftswachstum fördern, sondern das wird mehr Krankheit erzeugen unter den Beschäftigten“, sagt sie. Fahimi fordert vielmehr eine Verschärfung der aktuellen Regelung. Gerade Beschäftigte, die nicht unter den Schutz eines Tarifvertrages fallen würden, bräuchten Schutz durch den Gesetzgeber. „Sie brauchen den tatsächlich harten Achtstundentag".
Dabei zeigt eine aktuelle Studie, dass die geplante Flexibilisierung nicht zwangsläufig üble Folgen haben muss: Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben Daten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für Bürobeschäftigte analysiert. Die Ergebnisse legen nahe, so IW-Ökonom Oliver Stettes, „dass zumindest für Bürobeschäftigte Flexibilisierungsspielräume sowohl bei Ruhezeiten als auch täglicher Höchstarbeitszeit existieren, ohne arbeitsplatzbezogene Gesundheitsrisiken zu erzeugen“.
Keine negativen Auswirkungen für die Mitarbeiter
Auch bei sehr langen Tagesarbeitszeiten, erklärt der IW-Experte weiter, seien „keine systematischen negativen Auffälligkeiten im Arbeitserleben von Bürobeschäftigten“ zu beobachten – etwa im Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit, die Erschöpfung oder die Arbeitsfähigkeit. Gleiches gelte für verkürzte Ruhezeiten: etwa, wenn jemand am Abend noch Arbeit nachholt, die sie oder er aus privaten Gründen am Nachmittag liegen gelassen hat, und dann am nächsten Morgen wieder ganz normal arbeitet.
„In solchen Fällen empfinden zum Beispiel Eltern die neuen Möglichkeiten durch die Ruhezeitverkürzung wohl eher als Entlastung“, sagt Stettes. Sein Fazit: „Das Vorhaben der Bundesregierung, von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu wechseln, ist richtig – und für unsere Wirtschaft notwendig.“

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.
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