Paris/Trier. „Wir müssen den Mut aufbringen, jetzt die Veränderungen vorzunehmen, die notwendig sind“, betont der starke Mann im Staat. „Wir werden Leistungen kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“
14 Jahre ist das her. Die Zitate sind aus der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zur „Agenda 2010“, die unter anderem die Hartz-IV-Reform mit sich brachte. Vor mindestens ebenso tief greifenden Änderungen steht jetzt unser wichtigster Nachbar Frankreich: Präsident Emmanuel Macron will schon bis Herbst etliche Gesetze ändern, um den verkrusteten Arbeitsmarkt aufzubrechen.
„Nötig ist das“, urteilt Joachim Schild, Politologie-Professor an der Uni Trier. „Der französische Arbeitsmarkt unterliegt sehr starren Regelungen – und er ist komplett gespalten.“ Mehr als 80 Prozent hätten normale Jobs, sagt er, aber die anderen praktisch keine Chance auf einen unbefristeten Vertrag. Die Arbeitslosigkeit insgesamt: nahezu doppelt so hoch wie in Deutschland. Bei der Jugend: noch schlimmer.
Mehr Flexibilität soll den Betrieben und den Beschäftigten helfen
Macron will das ändern, mit mehr Flexibilität. „Er betont immer wieder“, so Schild, „dass man in einer sich rasch wandelnden Wirtschaft mehr auf die spezifischen Bedürfnisse der einzelnen Unternehmen eingehen muss.“ Also soll künftig viel mehr auf betrieblicher Ebene geregelt werden dürfen: Von staatlichen oder branchenweiten Vorgaben kann dann nach unten abgewichen werden – „das ist eine sehr weitreichende Veränderung für Frankreich“. Macron will zudem die Höhe von Abfindungen bei Entlassungen deckeln, was indirekt die Bereitschaft der Firmen zu Neueinstellungen fördern soll.
Und er will die von den Tarifpartnern getragene Arbeitslosenversicherung verstaatlichen: „Eine Kampfansage an die Gewerkschaften“, sagt Schild. „In einem zweiten Schritt kann es dann ums Arbeitslosengeld gehen, ich vermute, dass die sehr großzügigen Regelungen nicht auf Dauer beibehalten werden.“
Absehbar ist zudem mehr Druck auf Arbeitslose, die zumutbare Jobs ablehnen. Andererseits soll ein Franzose künftig erstmals auch dann Arbeitslosengeld bekommen, wenn er selbst gekündigt hat: Das soll die Mobilität erhöhen.
Noch sind nicht alle Details bekannt. Und wenn Macron politisch Erfolg hat, „wird es durchaus eine Zeit dauern, bis die entsprechenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt greifen“ – so hatte es Gerhard Schröder 2003 angekündigt.
Ihm hat die Geschichte recht gegeben. Der deutsche Arbeitsmarkt, bis 2005 tief greifend reformiert, steht heute extrem robust da. Eine Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo ergab nun: 87 Prozent der Professoren für Volkswirtschaftslehre an deutschen Unis sind überzeugt, dass die Agenda 2010 „stark“ oder „sehr stark“ zu unserem Jobwunder beigetragen hat.