Unser Arbeitsmarkt leidet mehr und mehr unter der Wirtschaftsschwäche. Auch für die nächsten Monate signalisiert das Arbeitsmarkt-Barometer des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB eine ungünstige Entwicklung, gerade in der Industrie.

aktiv sprach mit dem IAB-Forscher Alexander Kubis über die Ursachen. Und fragte ihn auch: Warum klagen eigentlich trotz gestiegener Arbeitslosigkeit so viele Unternehmen über Personalmangel?

Herr Kubis, in den Nachrichten hört und liest man immer wieder von Stellenabbauplänen. Wie groß ist unser Problem mit Arbeitslosigkeit?

Die Zahl der Arbeitslosen steigt seit zwei Jahren. Wir hatten zum Beispiel im September bundesweit rund 179.000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr. Unser Arbeitsmarkt ist derzeit in der Tat nicht unbedingt auf einem guten Entwicklungspfad.

Ist das wenigstens nur ein vorübergehendes Konjunkturphänomen?

Man muss sich durchaus fragen, ob das allein der schlechten Konjunktur geschuldet ist oder ob es auch an den Rahmenbedingungen in Deutschland liegt, zum Beispiel an einer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Ländern.

Was läuft Ihrer Einschätzung nach schief?

Auf jeden Fall schlagen die hohen Energiekosten zu Buche. Ein weiteres Problem ist die hohe Steuer- und Abgabenlast. Man sieht ja auch, dass sehr zurückhaltend investiert wird. An solche Themen müssen wir ran. Denn nur, wenn es den Betrieben gut geht, entstehen auch neue Arbeitsplätze.

Forscher sagen, unser Arbeitsmarkt sei noch relativ robust. Was heißt das eigentlich?

Das heißt, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften immerhin viel weniger stark zurückgeht als das Wirtschaftswachstum. Ein Grund dafür ist, dass die Unternehmen nicht nur Stellen ausschreiben, wenn sie zusätzliche Leute brauchen, sondern sie müssen laufend auch die Mitarbeiter ersetzen, die beispielsweise in Rente gehen. Das werden immer mehr. Grob gesagt: Fast ein Viertel der Belegschaften geht demnächst in den Ruhestand! Daher versuchen Unternehmen verstärkt, ihr Personal in Konjunkturkrisen zu halten und schreiben weiterhin offene Stellen aus.

Und viele Unternehmen klagen ja auch weiterhin über Fachkräftemangel. Dabei stehen doch auch viele Arbeitslose vor der Tür.

Auch wenn viele Menschen arbeitslos sind – die Chancen für Betriebe, genügend Fachkräfte zu finden, werden kleiner, je mehr das Erwerbspersonen-Potenzial schrumpft. Dazu zählt man alle Menschen, die entweder bereits Arbeit haben, aktiv eine Stelle suchen oder die unter besseren Rahmenbedingungen eine Beschäftigung aufnehmen würden. Und deren Zahl wird wegen der demografischen Entwicklung in einer enormen Geschwindigkeit schrumpfen! Bei uns noch dazu extremer als in anderen Ländern. Das stellt Unternehmen vor Schwierigkeiten. Und im Übrigen auch unsere sozialen Sicherungssysteme – denn nur, was erwirtschaftet wird, fließt auch in die Sozialkassen ein.

Warum genau bleiben trotzdem Arbeitslose übrig, die nicht gleich was Neues finden?

Die Passung ist ein großes Problem. Die Unternehmen brauchen Fachkräfte mit ganz bestimmten Qualifikationen und speziellem Wissen, das Bewerber oft einfach nicht haben. Und wer gar keinen Beruf gelernt hat, hat auf dem Arbeitsmarkt besonders schlechte Chancen. Unter allen Ungelernten liegt die Arbeitslosenquote übrigens bei rund 21 Prozent. Die Hälfte der Langzeitarbeitslosen bewirbt sich nur auf Helferstellen.

Macht die Transformation dieses Matching-Problem noch größer?

Ja, das Matching ist eine der großen Herausforderungen der Transformation. Ein Strukturwandel wie der jetzige trifft meistens bestimmte Regionen besonders stark. In der Vergangenheit haben wir das zum Beispiel am Ruhrgebiet gesehen. Aktuell ist etwa das Autoland Baden-Württemberg besonders betroffen. Seit vielen Jahren beschäftigt uns ja die Frage: Was passiert mit der Automobil- und ihrer Zulieferindustrie, wenn sich der Antriebsstrang verändert?

Was wird aus den Jobs, die so nicht mehr gebraucht werden, etwa weil andere Motoren gebaut werden?

Der Strukturwandel verändert die Tätigkeitsinhalte in den meisten Berufsfeldern massiv, auch in anderen Bereichen. Deshalb wird das Thema Weiterbildung für Betriebe und Beschäftigte noch viel wichtiger werden, als es bisher schon ist.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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