Brüssel. Wie kann man ein soziales Europa erhalten? Durch eine „Steigerung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und die Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung“. So die spannende Antwort der europäischen Metall- und Elektro-Arbeitgeber.
Auf Anhieb mag das vielleicht erstaunen: Was hat denn die Industrie mit dem Sozialstaat zu tun? Tatsächlich eine ganze Menge!
Dazu muss man wissen: Die Bevölkerung der EU – das sind nur 7 Prozent der Menschen in aller Welt. Die Wirtschaftsleistung der EU – die liegt bei 22 Prozent des globalen Outputs. Aber die Sozialleistungen der EU – die summieren sich auf über 40 Prozent (!) der weltweiten Zahlungen.
Europa ist also ziemlich produktiv und sehr sozial. Für den Metallarbeitgeberdachverband Ceemet in Brüssel, der rund 200.000 Unternehmen mit 17 Millionen direkt Beschäftigten repräsentiert, steht fest: „Nur eine gesunde Industrie kann die hohen Sozialausgaben der EU aufrechterhalten.“
Was die Staatengemeinschaft jetzt tun sollte, um ihre Industrie zu stärken, mahnt Ceemet in einem politischen 10-Punkte-Plan an. Schließlich ist 2019 ein ganz wichtiges Jahr: Europawahl im Mai, dann bald eine neue EU-Kommission – da werden entscheidende Weichen gestellt.
„Die Industrie braucht eine starke EU – und die Arbeitnehmer Europas brauchen eine starke Industrie.“ Ceemet-Präsident Diego Andreis
Nationalistischen Tendenzen erteilt Ceemet-Präsident Diego Andreis eine klare Absage: „Nur in einer EU, die mit einer Stimme spricht, kann unsere Industrie mit den USA und China konkurrieren“, mahnt der Italiener. Er ist selbst Familienunternehmer in dritter Generation, führt den innovativen Pumpenhersteller Fluid-o-Tech. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und „agile Arbeitsmärkte“ – diese Punkte sollten „auf der Agenda der neuen Europäischen Kommission ganz oben stehen“.
Digitale Kompetenzen
Was Andreis sehr wichtig ist: „Die Industrie und die Gesellschaft verändern sich – die Bildung muss sich mit verändern.“ Um mit der Digitalisierung Schritt halten zu können, sei eine neue Denkweise nötig, bei der „kontinuierliches Lernen eine Selbstverständlichkeit ist“ – ebenso wie digitales Lernen von klein auf. „Wir müssen mehr in digitale, unternehmerische und soziale Kompetenzen investieren“, fordert Ceemet.
Flexible Arbeitsmärkte
Ist die EU-Gesetzgebung noch mit den Bedürfnissen von Kunden, Unternehmen und Arbeitnehmern vereinbar, die in einer digitalisierten Industrie 4.0 agieren? Eher nicht: Die Arbeitszeitregulierung müsse angepasst werden, finden die Arbeitgeber. Ein zu starrer Rechtsrahmen werde die ohnehin schon hohen Arbeitskosten nur weiter erhöhen – und tendenziell Jobs in Europa kosten.
Generell fordert Ceemet: „Die politischen Entscheidungsträger sollten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas als Standort mehr Aufmerksamkeit schenken, bevor sie zusätzliche Vorschriften erlassen.“ Die EU-Institutionen müssten unnötige Bürokratie abbauen, die „allzu oft die Investitionen der Unternehmen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen“ beeinträchtige.
Starke Sozialpartner
Für die historisch gewachsenen industriellen Arbeitsbeziehungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten könne es kein einheitliches EU-Modell geben, stellt der Dachverband fest. Der Gesetzgeber müsse daher die Autonomie der Tarifparteien respektieren – und dürfe sich nicht in deren Kernkompetenzen einmischen: „Die Sozialpartner sind näher an den Industrien und können so autonom und auf der Grundlage eines soliden Mandats maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen bis hin zur nationalen Sektorebene verhandeln.“
Ceemet benennt auch da eine aktuelle Herausforderung: „Die Entstehung der Plattformwirtschaft wirft Fragen nach der Relevanz traditioneller Arbeitsbeziehungen auf.“ Es helfe aber nicht weiter, Tarifverträge als allgemeinverbindlich zu erklären: „Dies würde als Unfähigkeit der Sozialpartner wahrgenommen, eigene Lösungen zu finden – und damit ihre Position schwächen.“
Den kompletten „10-Punkte-Plan für eine wettbewerbsfähige Industrie zur Erhaltung des sozialen Europas“ im Wortlaut gibt es hier per PDF-Download: ceemet.org