Stuttgart. Die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs ist in einer Ausnahmesituation. aktiv fragte Dr. Stefan Wolf, wie Betriebe und Beschäftigte sie bewältigen können. Er ist Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall und Vorstandsvorsitzender des Automobilzulieferers ElringKlinger.
Masken aufsetzen, Abstand halten, zu Hause bleiben: Nervt Sie das auch?
Die Situation ist für uns alle eine große Herausforderung. Doch es werden auch wieder bessere Zeiten kommen. Derweil ist es wichtig, dass wir behutsam ein Stück „alte“ Normalität wiederherstellen.
Die Wirtschaft wieder „hochfahren“: Warum ist das denn so wichtig?
Weil sich die Unterauslastung der Betriebe nicht unbegrenzt durchhalten lässt. Es geht darum, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern. Vorsichtig sein, aber die Wirtschaft hochfahren: Den Spagat kriegen wir hin, aber nicht allein. Wir müssen zusammenhalten.
Gesundheit auf der einen Seite, wirtschaftlicher Wohlstand auf der anderen. Ist das ein Widerspruch geworden?
Im Gegenteil! Eine erfolgreiche Wirtschaft ist die Voraussetzung für ein funktionierendes Gesundheitssystem: Denn das wird ja über Sozialbeiträge finanziert. Wo nichts erwirtschaftet wird, kann auch nichts für Gesundheit ausgegeben werden.
"Der Gesundheitsschutz unserer Mitarbeiter hat oberste Priorität."
Dr. Stefan Wolf, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall
In den Südwestmetall- Mitgliedsbetrieben arbeiten 540.000 Menschen. Was wird getan, um sie zu schützen?
Der Gesundheitsschutz unserer Mitarbeiter hat oberste Priorität. Gerade die Betriebe und Belegschaften haben ja bisher entscheidend dazu beigetragen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, mit Verantwortungsbewusstsein und Eigeninitiative. Zudem hat die Politik geregelt, was in den Betrieben jetzt beachtet werden muss.
Doch nicht überall ist genug Abstand möglich, und Masken sind knapp …
Wir bei Südwestmetall haben uns früh um eine Bezugsquelle für einfache Mund-Nase-Masken bemüht. Nun verteilen wir pro Woche mehrere Millionen Stück, zum Selbstkostenpreis. Damit leisten wir einen Beitrag zum Schutz der Mitarbeiter und zur Normalisierung des Alltags. Wir unterstützen damit auch die öffentlichen Bereiche.
Einige Betriebe sind ja selbst in die Maskenproduktion eingestiegen.
Angesichts der außergewöhnlichen Herausforderungen ist es einfach dringend notwendig, dass Unternehmen, die Politik sowie öffentliche und medizinische Einrichtungen sich gegenseitig unterstützen. Wir freuen uns, dass viele Betriebe soziale Verantwortung übernehmen.
Die meisten Unternehmen haben aber massiv zu kämpfen. Was sind die größten Probleme?
Die Lage ist ernst. Schon vor der Coronakrise war die Situation schwierig: Der technologische Wandel erfordert massive Investitionen. Jetzt ist die Nachfrage eingebrochen. Es fehlen Umsätze und Erträge – aber die Kosten laufen weiter! Damit der Motor irgendwann wieder rundläuft, braucht es auch Kaufanreize. Und wir brauchen funktionierende Lieferketten. Denn die Industrieproduktion ist wie ein komplexes Getriebe: Fällt darin nur ein Zahnrädchen aus, läuft nichts mehr.
Gibt es Möglichkeiten, die Lieferketten wieder stabil zu machen?
Weil Lieferketten länderübergreifend sind, spielt die EU eine zentrale Rolle. Sie braucht weiterhin eine klare Strategie, damit der Wirtschaftsmotor Europas wieder läuft. Dafür muss im Binnenmarkt ein reibungsloser Warenverkehr möglich sein. Und das Verfahren zum weiteren Hochfahren der Produktion muss europaweit abgestimmt werden.
Wir sitzen also in einem Boot mit stärker betroffenen Ländern wie Italien?
Ja, deshalb braucht die Wirtschaft Solidarität. Wenn wir etwa aus Italien wichtige Vorprodukte nicht bekommen, können wir auch hier nicht produzieren. Italien wiederum braucht uns als Abnehmerland.
Das klingt fast so, als wäre Solidarität ein Produktionsfaktor, wie Stahl oder Strom.
Im Grunde ist es so. Mit Ellbogen kommt man nicht weit – ob es nun in der EU ist, in der Bundespolitik, in einer Familie oder im Betrieb. Krisen können wir am besten gemeinsam überstehen. Auch diese Krise packen wir, wenn wir zusammenhalten.